Der Mann der nicht zu hängen war
ihr in Verbindung setzen kann. Er seinerseits ruft sofort den Direktor an, erklärt dem Bankier seine Lage. Natürlich geht die Sache in Ordnung.
Vater Judmaier ist übrigens ebenfalls ein vorzüglicher Alpinist. Er kennt die besten Bergsteiger der Gegend, ruft ein halbes Dutzend von ihnen an, erreicht, daß sie alles hegen und stehen lassen, um mit ihm sofort nach Nairobi zu fliegen. Treffpunkt ist Wien-Schwechat. Von dort aus wird sie die Boeing 707, die bereits von Zürich abgeflogen ist, nach Nairobi bringen.
In der Gruppe ist sogar ein Bergsteiger, der den Mount-Kenia schon bestiegen hat. Der Sekretär des Alpenvereins von Innsbruck stellt in Windeseile die umfangreiche Ausrüstung zusammen.
Am Mittag bereits sind alle in Wien-Schwechat! Gegen 13 Uhr startet die Boeing 707. Acht Stunden Flug ohne Zwischenlandung. Spät am Abend landet sie in Nairobi, wo bereits über Funk bestellte Geländewagen auf die Alpinisten warten. Knapp zwei Stunden später sind die Wagen am Fuß des Berges. Noch in der Nacht macht sich die österreichische Rettungsmannschaft auf den Weg. Hochtrainiert und bergerfahren, wie sie sind, erreichen sie den jungen Judmaier — zwar im Koma liegend, aber immer noch lebend. Unverzüglich bringen sie ihn nach unten. Nachmittags liegt Gerd Judmaier bereits im Krankenhaus von Nairobi.
Das geschah vor rund 15 Jahren. Heute lebt Dr. Gerd Judmaier in Innsbruck. Nur die unglaubliche Energie seines Vaters hat ihn gerettet.
Der Flügel in der Wüste
K ein Mensch ist vollkommen. Nicht einmal ein Beamter. Schon gar nicht ein Bürokrat. Und noch schlimmer ist ein faschistischer Bürokrat. Hier haben wir es mit dem Paradebeispiel eines faschistischen Bürokraten vom Typ Mussolinis zu tun. Sein Aufgabenbereich sollte eigentlich die Kanten seines Quadratschädels etwas runder und seine scharfe Stimme etwas sanfter gemacht haben. Er ist nämlich für kulturelle Angelegenheiten zuständig. Ein kleiner, kahlköpfiger Mann, der wie ein Hahn herumstolziert und den seine Uniform vollends lächerlich macht. Mißtrauisch sieht er den Besucher an:
»Alle im Schloß von Viktor Emanuel aufgefundenen Wertgegenstände sind beschlagnahmt. Sie sind nicht zu besichtigen!«
Der Besucher, der sich als Avner Carmi vorgestellt hat, ist ein romantisch wirkender junger Mann mit zartem Gesicht und sensiblen Händen. Er trägt einen grauen Anzug und sieht wie ein Künstler aus, jedenfalls der Schleife nach zu schließen, die er statt einer Krawatte trägt. Seine Stimme ist ruhig und musikalisch:
»Ja, ja, aber ich bin nur für ein paar Tage in Rom. Gibt es nicht doch irgendeinen Weg? Ich möchte auch nur ein einziges Stück aus der Sammlung sehen. Den Flügel.«
»Zu welchem Zweck?«
»Ach — zu keinem besonderen Zweck. Es ist nur eine Art
Versprechen, das ich seit langem einlösen will. Sehen Sie, mein Großvater war Pianist. Ein Russe, und er hat es immer als besonderes Glück empfunden, daß er einmal im Leben auf diesem herrlichen Instrument spielen durfte. Er hat viel davon gesprochen und oft gesagt: >Du mußt dir dieses Instrument unbedingt anschauen. Du wirst so etwas nicht mehr wiederfinden, nie wieder einen solchen Ton hören.< Der Flügel soll ein wahres Wunderwerk sein! Eine Arbeit von Marchisio, einem Ihrer berühmtesten Klavierbauer, und niemand geringerer als der Bildhauer Ferri hat ihn verziert.«
»Ich weiß, ich weiß, Sie sagen mir nichts Neues!« Anscheinend doch. Der Besucher hat entschieden den Eindruck, daß er diesem Klotz, der die beschlagnahmten königlichen Besitztümer zu beaufsichtigen hat, sehr wohl lauter Neuigkeiten erzählt. Was kann ein Konzertflügel, und sei er noch so einmalig, einem solchen Banausen auch bedeuten?
Carmi versucht es noch einmal: »Ich möchte ihn ja nur anschauen und mir Notizen machen. Es wäre wichtig für meinen Beruf. Ich bin Klavierbauer und würde so gerne seine Klangfarbe hören. Ich könnte ihn auch instandsetzen und stimmen. Ein Flügel darf nicht lange ungestimmt bleiben, wissen Sie. Die Saiten leiden, wenn sie nicht richtig gespannt sind, auch die Filze sollten kontrolliert werden.«
»Bedaure, kommt nicht in Frage. Darüber zu entscheiden ist Sache der Verwaltung. Ich sage Ihnen noch einmal, die Sammlung ist auf Anordnung des Duce beschlagnahmt. Das ist dekadente Kunst, die wir Ausländern nicht zeigen.«
»Aber es geht um ein Gelübde, ich habe es meinem Großvater versprochen. Und nun bin ich in Rom, wer weiß, wann ich wieder kommen kann.
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