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Der Mann der nicht zu hängen war

Der Mann der nicht zu hängen war

Titel: Der Mann der nicht zu hängen war Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pierre Bellemare
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ruiniert.
    Dieses Mal gibt Carmi auf. Was soll er tun mit diesem traurigen Wrack? Selbst wenn es gelänge, ihn aus seinem Gips herauszuschälen, eine Restaurierung würde sich nicht mehr lohnen.
    In seiner Werkstatt in Tel Aviv denkt Carmi noch an das traurige Ende seines Flügels, da bekommt er Besuch von einem alten Mann, der einen Karren zieht. Und auf dem Karren liegt — es ist nicht zu glauben — das Gehäuse des Flügels. Der Mann ist ausgerechnet Gipser. Er hat das gute Stück mit anderen Trümmern vom Sperrmüllplatz geholt.
    »Wissen Sie, meine Tochter liebt Musik. Wenn Sie ihn reparieren würden, könnte sie Klavier spielen lernen. Man bekommt hier keine Flügel, und wenn ich einen aus Europa kommen lasse, kostet es mich ein Vermögen .«
    »Sie wollen, daß ich... daß ich was mache?«
    »Sie setzen ihm ganz einfach die Tastatur wieder ein und alles andere, was hineingehört: Hier ist eine Anzahlung. Das ist alles, was ich im Augenblick habe, den Rest zahl’ ich später. Einverstanden?«
    »Na schön, meinetwegen.«
    Am nächsten Tag betrachtet Carmi den Flügel in seiner Werkstatt. Welch seltsame Reise hat ihn hierher geführt? Er ist in den Ecken immer noch voller Sand, dem Sand aus der libyschen Wüste.
    Da taucht der Gipser wieder auf: »Ich habe es mir anders überlegt! Meine Frau hat recht, das Geld wäre zum Fenster hinausgeworfen. Geben Sie mir meine Anzahlung zurück.«
    Carmi ist enttäuscht, versucht, ihn zu überreden. Er hatte sich schon mit dem Gedanken befreundet, das arme Instrument noch einmal zusammenzuflicken. Die Diskussion wird unerfreulich. Der Gipser fordert lautstark sein Geld zurück und schlägt mit Vehemenz auf die Gipsschale:
    »Ich will ihn nicht mehr, geben Sie mir mein Geld zurück! Das ist mein gutes Recht!«
    Durch den Faustschlag ist ein Stück Gips abgesprungen, er ist ja mittlerweile schon oft genug attackiert worden — und Carmi starrt auf das Holz, das darunter zum Vorschein kommt —, ein kleines Stück Holz und auf dem Holz ein Relief, Kopf und Rumpf eines kleinen Cherubs. Das kann nicht wahr sein..., das ist doch nicht möglich!
    Carmi gibt dem Alten schleunigst sein Geld zurück, entläßt den Besucher und stürzt sich auf ein altes Buch, das seinem Großvater gehörte. Das ist er, bestimmt ist er das, wenn es keine Kopie ist. Das ist der königliche Flügel, von dem einst der Großvater sagte: »Es ist ein Flügel wie aus Kristall, du mußt ihn sehen mein Junge, du wirst viel von ihm lernen.«
    Carmi arbeitet fieberhaft. Er braucht drei Monate, dann ist er so weit. Er versucht es mit Benzin, Alkohol, Essig und Zitronensaft — alles nützt nichts. Schließlich versucht er es mit Aceton — mit Erfolg. Er verbraucht 110 Liter dieses Lösungsmittels, um den schön geschnitzten Körper des Flügels freizulegen, und Stunden geduldiger Arbeit — Tausende von Stunden.
    Aber da steht er nun. Eine Arbeit des italienischen Holzbildhauers Ferri, um 1800 in Turin entstanden. Etliche Jahre später wurde der Flügel vom Stadtrat von Siena dem künftigen König Umberto 1. zur Hochzeit geschenkt. Diesen Flügel hatte Carmi sehen wollen, als er 1938 den unbeugsamen Kunstfunktionär und Beamten Mussolinis anflehte. Ihn hat er in der libyschen Wüste gefunden. Immer schon hatte er ihn gesucht und war in seiner Nähe gewesen, ohne es zu ahnen. Unglaublich! Wie der Flügel nach El-Alamein gekommen ist, wird immer ein Rätsel bleiben. Vielleicht hatte ihn ein Deutscher in Italien »organisiert«. Und um ihn unkenntlich zu machen und vielleicht auch um ihn zu schützen, hatte er ihn eingegipst. Wahrscheinlich hatten deutsche Truppenbetreuer darauf gespielt.
    Den kostbaren Korpus aus Zypressenholz hat Carmi schon gerettet. Nun muß er noch den Mechanismus rekonstruieren. Unterlagen aus der Zeit um 1800 helfen ihm dabei. Diese Arbeit kostet ihn nochmals Jahre.
    1953 kann er schließlich in den Vereinigten Staaten seinen »Wüstenflügel« ausstellen. Bald darauf erscheint die erste Schallplatte, die auf diesem Instrument bespielt wurde. Es sind sechs kurze Scarlatti-Sonaten. Die Reinheit des Tons ist hinreißend — so klar und kristallen, wie sie der russische Großvater geschildert hatte, der in seinem Leben auf Hunderten von Flügeln gespielt hatte und nur in diesen einen verliebt gewesen war.
    Vor seinem Tod 1917 hatte er zu seinem Enkel gesagt: »Man nennt ihn die Davidsharfe. Er ist aus dem Holz des Salomonischen Tempels in Jerusalem gearbeitet!« Das war natürlich Legende.

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