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Der Mann, der nichts vergessen konnte

Titel: Der Mann, der nichts vergessen konnte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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ihn zum Narren hielt.
    »Gott bewahre, nein!«, stieß er hervor. »Sie wurde nach dem Angriff der Japaner auf Pearl Harbor aus
    Sicherheitserwägungen nach Fort Knox geschafft. Zwar kam sie dann noch mal hierher zurück, wurde aber 1952 endgültig ans Nationalarchiv überstellt. Die hüten unseren Schatz heute noch. Sie können rübergehen und ihn sich stundenlang ansehen oder eines unserer Faksimiles studieren – die sind gestochen scharf.«
    »Vielleicht versuche ich es fürs Erste einmal damit«, sagte Tim. Jetzt kam Schritt zwei der Verhandlungsstrategie. »Ach, da fällt mir ein, ich brauche ja noch ein zweites Dokument. Es handelt sich um den frühesten Entwurf der Erklärung. Dürfte auf Juli 1776 datiert sein. Das müsste in Ihren Fachbereich fallen, wenn ich mich nicht irre.«
    »Sicher. Die ›Thomas Jefferson Papers‹ gehören zu den speziellen Sammlungen unseres Hauses, insgesamt siebenundzwanzigtausend Titel. Sie können das Dokument auf Mikrofilm studieren.«
    »Gerne. Am besten, Sie bringen mir das Lesegerät gleich mit. Ich habe hier nämlich keines.«
    Am anderen Ende der Leitung wurde es still. Dann: »Das meinen Sie jetzt aber nicht ernst, oder? Wir werden doch aus unserem Mikrofilmleseraum kein Gerät abziehen, nur damit Sie sich ein einziges Dokument reinziehen können.«
    »Mir würde es nichts ausmachen rüberzukommen, aber ich bin hier eingesperrt.«
    »Die paar Minuten werden Sie sich schon loseisen können.«
    »Sie missverstehen mich, Dr. Lessing. Man lässt mich nicht aus dem Librarian’s Office heraus. Was denken Sie, wozu das innere Zahlenschloss gut ist? Ich bin hier gefangen.«
    »Sie machen Scherze.«
    »Ich wünschte, es wäre so. Hier ist es schlimmer als im Zuchthaus. Ich bekomme nicht mal Hofgang.«
    »Das ist ja unfassbar! Ich kann es nicht glauben.«
    »Dann reden Sie mal mit meinem Bewacher draußen vor der Tür und versuchen ihn davon zu überzeugen, mich für eine halbe Stunde in den Leseraum zu lassen. Er wird sagen, dass er das Risiko nicht eingehen darf, weil ich eine gefährdete Person sei, meint aber in Wahrheit, dass er meine Flucht verhindern will.«
    Wieder verstrichen einige zähe Sekunden, ehe Lessing zu einem Entschluss gekommen war. »Ich werde der Sache auf den Grund gehen. Bleiben Sie, wo Sie sind.«
    Tim lachte. »Jetzt sind aber Sie der Witzbold.«
    Nicht ganz eine halbe Stunde später hörte Tim das charakteristische Summen des elektrischen Schließmechanismus. Knight lehnte sich ins Büro, während er die Tür aufhielt. Der Blick des schwarzen Riesen war eine stumme Drohung von der Art: Beim nächsten Mal setzt es Prügel. Hiernach sah Tim einen Tisch auf Rollen, obenauf ein Mikrofilmlesegerät. Geschoben wurde das quietschende Gefährt vom fülligen Leiter der Abteilung für seltene Bücher & spezielle Sammlungen, dessen Miene kaum weniger finster als die des Bewachers war.
    »Wenn Sie wieder rausmöchten, Dr. Lessing, dann klopfen Sie«, sagte Knight.
    »Darf ich auch klopfen?«, knurrte Tim.
    Der Springer verzog keine Miene und schloss die Tür.
    »Bitte fahren Sie den Wagen in mein Schlafzimmer«, bat Tim und deutete zum Kabinett des Sekretärs.
    »Das ist ein Skandal«, raunte der Bibliothekar auf dem Weg dorthin.
    »Wem sagen Sie das!« Tim nickte bedeutungsvoll. Als sie den Durchgang in das kleinere Büro hinter sich gelassen hatten, fügte er hinzu: »Können Sie nicht etwas tun, damit ich mir wenigstens einmal draußen die Füße vertreten kann?«
    Lessing lachte trocken. Als fürchte er abgehört zu werden, senkte er sogleich wieder die Stimme. »Sie sind ›Gast‹ des größten Geheimdienstes der USA. Da kann ich gar nichts machen.«
    Tim deutete zum Hauptraum, wo sich links neben dem Schreibtisch die zweite Tür befand. »Nur ein Ausgang ist mit einem elektronischen Schloss gesichert. Wer besitzt den Schlüssel zum zweiten?«
    »Die NSA hat eigentlich alle einkassiert.«
    »Eigentlich?«
    Lessing blickte sich erst verschwörerisch um und flüsterte:
    »Der Bibliothekar hat noch einen.«
    »Sie meinen, der Bibliothekar, der Librarian? Könnten Sie sich ihn vielleicht einmal für ein Stündchen ausleihen?«
    »Du lieber Himmel! Ich will doch nicht ins Gefängnis kommen.«

    »Denken Sie nicht, als Komplize in einem Fall von Freiheitsberaubung hätten Sie viel größere Chancen, eingesperrt zu werden?«
    Lessing sah Tim verdrießlich an. »Sie bringen mich in Teufels Küche, Doktor.«
    »Einen Tod muss jeder sterben.«
    Der Bibliothekar rang

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