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Der Mann, der nichts vergessen konnte

Titel: Der Mann, der nichts vergessen konnte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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Erinnerungen ab und betrat die Gruft.
    Die Stufen führten noch einmal nach rechts. Hinter der Biegung bestanden die Wände des Aufgangs aus dem gleichen braunen Sandstein, den Tim schon an der Fassade des Gebäudes gesehen hatte. Die Mauer ragte bis ganz hinauf.
    Links sah er ein eisernes Geländer. Die Treppe mündete in einen großen Saal, zwei Stockwerke hoch und vom typischen muffigen Geruch alter Häuser erfüllt.

    »Der Diningroom«, erklärte Jamila nüchtern und deutete zur Rückwand des Hauses. »Die Fenster sind zwar verhängt, aber du solltest hier trotzdem nur deine Taschenlampe benutzen.
    Wenn auch nur ein Lichtstrahl nach draußen dringt, könnten wir entdeckt werden.«
    Tim zog einen identischen Strahler aus der Tasche, den er zuvor von Jamila bekommen hatte. Die Dinger gehörten der NSA. Agentenausstattung. Titangehäuse, groß wie ein Schokoriegel, dabei sehr hell und trotzdem energiesparend.
    Eher planlos ließ Tim den Lichtkegel durch den Raum tanzen und fühlte sich dabei ein bisschen wie James Bond.
    Die Einrichtung war nicht eben luxuriös, alles wirkte alt und abgenutzt; die Dielen am Boden knarzten. Die Stuckverzierungen an Decke, Wänden, Bögen und Pilastern bedurften dringender Ausbesserung. Er schälte mit seinem Lichtskalpell eine zerkratzte Speisetafel und durchgesessene Stühle aus der Dunkelheit, ein lederbespanntes, abgewetztes Sofa und dazu passende Sessel, zehn Meter hohe Fenstervorhänge sowie zwei Kamine, einer davon so hoch, dass man darin stehen konnte. Wie Totenkopfmasken in einer Geisterbahn sprang immer wieder das Emblem der Loge 322
    aus der Finsternis: als Tapetenaufdruck, als geschnitzte Möbelverzierung, als Messingplakette und sogar als Tassendekor. Von den Wänden sahen im kalten Schein der Leuchtdioden ernste Gesichter mit strafenden Blicken auf die Eindringlinge herab – Porträts ehemaliger Ritter des Ordens.
    Auf einem der Konterfeis verharrte Tims gleißender Lichtstrahl.
    »George W. Bush?«, murmelte er.
    »Hilft uns das weiter?«, fragte Jamila angespannt.
    »Warum haben so viele Bilder Risse und Dellen?«
    »Frisbie.«
    »Wie bitte?«

    »Frisbie ist die favorisierte Sportart der Studenten in Yale.«
    »Im Tempel?«
    »Überall.« Sie zuckte die Schultern. »Die meisten Studenten, die von Skull and Bones getappt werden, sind große Jungs mit einer Menge Flausen im Kopf. Regelmäßig räumen sie den Raum hier leer und benutzen die Kamine als Fußballtore. Sie liegen ja so schön gegenüber.«
    »Hast du da auch mitgemacht?«
    »Manchmal schon. Heute ist mir vieles von damals nur noch peinlich. Ich merke, wie ich mich innerlich von diesem Teil meiner Vergangenheit distanziere. Mit dem meisten, was du hier sehen wirst, habe ich nie besonders viel anzufangen gewusst – nach meinem Geschmack war es mir etwas zu düster –, aber du sagst nicht Ja zum Schulterschlag des Ordens, weil du nekrophil bist, sondern weil du dadurch Zugang zu einem elitären Netzwerk erhältst. Fast ausnahmslos beginnt für die Ritter damit die große Karriere, von der andere nur träumen können. Den ganzen Zinnober hier nimmt man in Kauf, egal, ob man auf so was steht oder nicht.«
    »Die Einrichtung kommt mir ziemlich – entschuldige, das hat jetzt nichts mit Patriotismus zu tun – deutsch vor.«
    »Das ist beabsichtigt. Früher war es sogar Pflicht, die Räume so auszustatten. Du kennst vermutlich die Gründungslegende von Skull and Bones: Der Student William T. Russel macht eine Bildungsreise nach Deutschland, findet dort Eingang in eine geheime studentische Verbindung, die den Totenkopf mit den gekreuzten Knochen als Emblem führt, und gründet dann eine Filiale hier in Yale.«
    »Du solltest das nicht so ins Lächerliche ziehen. Nach allem, was wir bis jetzt wissen, dürfte Russel in Berlin unseren Freund TJB kennengelernt und der alte Haudegen mit seinem abenteuerlichen Leben gehörigen Eindruck auf den jungen Landsmann gemacht haben. Wahrscheinlich hat er ihm auch von seinen Kriegserlebnissen erzählt und dass im Traum die Schädel und Knochen zu ihm schreien. Was daraus entstanden ist, siehst du ja hier.« Tim machte eine raumgreifende Geste.
    »Das ist noch gar nichts. Wart erst mal ab, was noch so alles kommt.«
    »Hast du dich eigentlich schon gefragt, warum ihr euer Ordenshaus Boodle nennt? Einen Tempel als ›Schmiergeld‹ oder ›Batzen Zaster‹ zu bezeichnen ist doch ziemlich bizarr, findest du nicht?«
    »Das musst du die Boodle Boys fragen, die sich das

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