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Der Mann, der nichts vergessen konnte

Titel: Der Mann, der nichts vergessen konnte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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Sieger. »Ihr Leben hat jetzt einen Scheideweg erreicht. Sie können alles so weiterlaufen lassen wie bisher, oder Sie schlagen eine neue Richtung ein. In jedem Fall müssen Sie sich heute entscheiden, und es gibt kein Zurück: Entweder Sie lassen sich von mir als Ihrem Tutor durch Türen führen, die niemand bisher durchschritten hat, oder Sie machen Ihren MIT-Abschluss und fristen Ihr Dasein als Programmierer in irgendeiner Softwareklitsche. Jetzt sind Sie am Zug, meine Dame und meine Herren.« Jamila lächelte Karim aufmunternd zu.
    »Ich begleite Sie, Meister«, sagte er mit einem jungenhaften Lächeln.
    Justin zuckte die Achseln. »Ist doch wohl klar, dass ich dabei bin.«
    »Wenn ihr zwei denkt, ich werde die traumhafte Frauenquote in der Gruppe mit einem Rückzieher zunichtemachen, dann habt ihr euch geschnitten, Jungs«, beschied Tianna.
    Kogan lächelte zufrieden. »Ich habe keine andere Antwort von Ihnen erwartet. Herzlichen Glückwunsch zu Ihrer Entscheidung. Ich verspreche Ihnen, unser Experiment wird… nein, Sie werden die Welt verändern.«
    Vier Monate nach dem Seminar auf Deer Island traf sich die Gruppe in einem heruntergekommenen Lagerhaus im Bostoner Hafen. Von außen sah das Backsteingebäude ziemlich marode aus, doch JJ hatte ihrem Team glaubhaft versichert, dass die Substanz gesund sei. Nach Nordwesten bot sich durch verdreckte Scheiben ein eintöniger Blick auf die Fish Pier und das umliegende Hafenbecken. Unter dem lang gestreckten Bauwerk lag der Ted Williams Tunnel, durch den der Massachusetts Pike nach East Boston hinüberführte.
    »Nette Immobilie«, bemerkte Justin. Er hing wie ein achtlos hingeworfenes Badelaken in einem futuristischen Bürosessel und hielt ein Klappmesser in der Hand, mit dessen schlanker Klinge er sich die Fingernägel reinigte. An diesem Tag trug er ein schwarzes T-Shirt mit einem weißen Pfeil, der auf seine Gürtellinie zielte. Darüber stand »Down Under fängt das Leben erst an«.
    Kogan wandte sich ihm zu. »Das Gebäude gehört einer Firma, die sich zu hundert Prozent im Besitz der NSA befindet.
    Es ist derzeit ungenutzt. Das werden wir jetzt ändern.« Er machte eine raumgreifende Geste, mit der er die ganze Etage einschloss, einen tausend Quadratmeter großen Raum, in dem es nichts außer ein paar Stützpfeilern, schmutzigen Fenstern und der »Insel« gab. Dabei handelte sich um ein Fünfeck aus Schreibtischen. Ein Pentagon für Arme, hatte Komiker Justin gewitzelt. Auf, unter und neben den Möbeln stand das Modernste, was die Computer- und Kommunikationstechnik zu bieten hatte. Die Geräte waren über Festnetz, Satellit und Mobilfunk mit der Außenwelt verbunden.
    »Dr. Kogan möchte, dass ihr für diesen Ort einen Decknamen benutzt«, erklärte JJ. »Wenn wir untereinander und nur untereinander über ihn reden, dann nennen wir ihn ›die Fabrik‹.«
    »Warum nicht ›das Labor‹? Hier geht’s doch schließlich um ein Experiment«, wandte Justin ein.
    »Klugscheißer«, flüsterte Tianna.
    Karim verdrehte die Augen.
    »Bitte setzen Sie sich«, sagte Kogan. Er wartete geduldig, bis alle Platz genommen hatten.
    Karim schnappte sich den Stuhl neben JJ und versuchte ihre Hand zu ergreifen.
    Sofort ging sie auf Abstand und beschoss ihn mit einem Laserblick aus ihren Smaragdaugen.
    »Was ist?«, hauchte er ihr ins Ohr. »Dein Boss kann uns nicht sehen.«
    Sie schüttelte unwillig den Kopf. »Denk nicht, weil ich heute früh bei dir eingezogen bin, kannst du dir alles erlauben«, flüsterte sie. »Pass gefälligst auf.«

    Kogan räusperte sich, was völlig genügte, um die ungeteilte Aufmerksamkeit seiner Truppe zurückzugewinnen. »Nun«, begann er, und er ließ sich für dieses Nun sehr viel Zeit, »möchte ich Ihnen erklären, worum es im Einzelnen bei unserem Experiment geht. Doch zuvor muss ich Ihnen noch einmal verdeutlichen, wofür die Buchstaben NSA stehen. Hat jemand eine Ahnung?«
    Inzwischen kannte jeder Kogan gut genug, um nicht übereifrig »National Security Agency« herauszuposaunen.
    »Im Insiderjargon bedeutet die Abkürzung ›Never say anything‹. Merken Sie sich das. ›Niemals irgendetwas sagen‹ – das ist ab heute Ihr Glaubensbekenntnis. Habe ich mich deutlich ausgedrückt?«
    Justin hob die Augenbrauen, als wolle er sagen: »Ich kann’s schon nicht mehr hören!« Doch er schwieg.
    In den folgenden Minuten schilderte Kogan seinen vier Zuhörern ein Szenario, das selbst JJ in dieser Ausführlichkeit noch nicht kannte. Es gehe um

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