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Der Mann, der nichts vergessen konnte

Titel: Der Mann, der nichts vergessen konnte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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ihnen ein. Allmählich ahnten sie, welche Macht dieser Mann in ihre Hände legen würde.

    Das Gesicht hinter der schwarzen Brille wandte sich den anderen zu. »Sie werden im Laufe unserer Zusammenarbeit Kenntnisse erwerben, die an keiner Eliteuniversität vermittelt werden, Fähigkeiten, mit denen Sie – ich wiederhole mich – die Welt verändern können. Und wenn Ihre Leistungen überzeugen, winkt Ihnen eine Spitzenposition bei der NSA.«
    Er ließ seine Worte einen Moment wirken, ehe er fortfuhr.
    »Nun, da Sie die Konsequenzen des Experiments zu erkennen beginnen, möchte ich Ihnen noch eine letzte Chance zum Rückzug anbieten. Sollte Ihnen der Job nicht zusagen, dann gehen Sie jetzt durch diese Tür.« Er zeigte mit unheimlicher Präzision zum Ausgang. »Will jemand aussteigen?«
    Keiner sagte auch nur einen Mucks.
    Kogan nickte zufrieden. »Gut. Dann willkommen im Klub, Cyberwarriors.«
    In den ersten zwei Monaten des Experiments glich die Fabrik eher einem Hörsaal denn einem Labor. Die Gruppe verbrachte jede freie Minute mit den Vorbereitungen für die Simulation.
    Karim, Justin und Tianna standen ständig unter Strom, denn nebenbei mussten sie auch noch ihr Studium absolvieren.
    Kaum hatten Sie den MIT-Campus verlassen und den Charles River überquert, nahm sie Kogan ran, den sie weiter neckend ihren »Meister« nannten.
    Manchmal dozierte er stundenlang oder ließ sie »Schlösser knacken« – so nannte er die Übungen zur Überwindung jeglicher Art von Sicherheitssperren. Zur Entspannung erlaubte er ihnen den Zugriff auf national SIGINT file, ein internes Online-Magazin der NSA. Dann wieder warf er ihnen einen dicken Stapel Papier auf den Tisch, den sie durcharbeiten mussten. Die internen Dokumentationen der National Security Agency übertrafen an Tiefe und Vielfalt alles, was herkömmliche Wissenschaftsverlage zu bieten hatten. Die Behörde war ein Hort des Wissens, wenn es ums Hacken, um die Ver- und Entschlüsselung von Daten oder um das sogenannte Data Mining ging, das Durchforsten gigantischer Datenmengen auf verräterische Muster mit dem Ziel, in diesem Heuhaufen etwas zu finden, von dem man im Voraus nicht einmal weiß, ob es eine Stecknadel oder ein Fingerhut ist.
    JJ bewunderte Karim, wie er das enorme Arbeitspensum bewältigte. Alle drei waren spitze. Ganz bewusst hielt Kogan die Gruppe ständig in einem empfindlichen Gleichgewicht zwischen Rivalität und Teamgeist. Vor allem Justin wollte seinen Kameraden stets eine Nasenlänge voraus sein, womit er wiederum ihren Ehrgeiz herausforderte und sie zu immer neuen Höchstleistungen anstachelte. Innerhalb kürzester Zeit lernten sie in dem Crashkurs die tausend Tricks, die aus einem normalen Hacker einen Cyberwarrior, einen Krieger im virtuellen Raum des Internets, machen.
    Kogans Drill war hart. Doch er besaß genügend Menschenkenntnis, um seine gestressten Schüler nicht zu überfordern. Eigens zu diesem Zweck hatte er in der Fabrik eine Chill-out-Insel eingerichtet, die er, frei nach dem legendären Kühlschrankmodell des Versandhauses Sears, »Cold-spot« nannte. Dort konnten seine Rekruten auf moosgrünen Polsterelementen ein Nickerchen machen, sich im Fernsehen die neuesten Nachrichten ansehen oder ihre heiß gelaufenen Nervenzellen mit anderen Formen von Unterhaltung auf normale Betriebstemperatur herunterkühlen.
    Das Medienangebot wurde eher selten genutzt, denn wenn der Meister einen seiner Cyberwarriors auf dem Coldspot entdeckte, forderte er ihn gewöhnlich zu einer Partie Schach heraus. So ließe sich das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden, pflegte er zu betonen. Dabei zitierte er gerne Benjamin Franklin, einen maßgeblichen Protagonisten im Kampf der amerikanischen Kolonien für die Unabhängigkeit:
    »Verschiedene, sehr schätzbare und im Laufe des Lebens nützliche Eigenschaften des Geistes können durch das Schachspiel erworben und gekräftigt werden, so dass sie zu Gewohnheiten werden, die uns nie im Stich lassen.«
    Nach Kogans Ansicht beruhte der Erfolg beim »königlichen Spiel« nicht allein auf Strategie und Taktik, sondern ebenso sehr auch auf Psychologie – zumindest, wenn auf beiden Seiten des Brettes ein Mensch saß. Ebenso werde nur derjenige eine Schlacht im Cyberspace gewinnen, der neben dem technischen Handwerkszeug auch im Social Engineering ein Experte sei. Und während er so dozierte, setzte er seine Gegner gewöhnlich mit Leichtigkeit matt.
    Der Einzige, der sich kategorisch einer Veredelung seines

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