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Der Mann, der nichts vergessen konnte

Titel: Der Mann, der nichts vergessen konnte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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Geistes durch die vorprogrammierten Niederlagen entzog, war Justin Flock. Er entspannte sich mit Killerspielen der wüstesten Art.
    So auch an einem Dienstag im Frühsommer.
    Karim hatte es sich auf den Polstern des Coldspot bequem gemacht und verfolgte gebannt eine Quizshow im Fernsehen.
    Um seine Kameraden nicht zu stören, trug er einen drahtlosen Kopfhörer. Als JJ ihn an der Schulter berührte, zuckte er zusammen.
    Sie schmunzelte. »Ich wollte dich nicht bei deinem Bildungsprogramm stören, aber unser Herr und Meister begehrt uns zu sprechen. Was schaust du dir da an?«
    Karim nahm den Kopfhörer ab und schaltete die Lautsprecher ein. »Eine alte Folge von Wer wird Supermillionär? auf GSN.
    Das musst du dir ansehen! Es geht um zehn Millionen. Regis Philbin hat alle Mühe, seinen Kandidaten zu zügeln, damit er die fünfzehn Fragen nicht schon in drei Minuten beantwortet.
    Unglaublich, dieser Typ. Er kommt mir vor wie eine Datenbank, die auf Knopfdruck alles ausspuckt, was du von ihr wissen willst.«

    Sie nickte. »Ich kenne die Sendung. Kam vor ungefähr drei Jahren schon mal auf ABC. Deine Einschätzung von dem Mann ist gar nicht so falsch. Wundert mich, dass du ihn nicht kennst. Er ist nach der Sendung ziemlich berühmt geworden.
    Sie nennen ihn tatsächlich ›Timputer‹, weil er jegliche Informationen wie ein Elektronenhirn speichern und unverfälscht wieder abrufen kann. Sein richtiger Name ist Tim Labin. Ein Deutscher.«
    »Oh? Er hat überhaupt keinen Akzent.«
    »Angeblich braucht er nur ein paar Tage, um eine neue Sprache zu lernen. Es überrascht mich, dass er überhaupt zu der Show eingeladen wurde.«
    »Wahrscheinlich haben ihn alle unterschätzt.«
    Einen Moment lang blickten sie auf die Mattscheibe. Auch Tianna und Justin versammelten sich vor dem Gerät.
    Während der Quizmaster die Fünfhunderttausend-Dollar-Frage stellte, wurde diese unter dem schmalen Gesicht eines dunkelhaarigen Mannes von Anfang zwanzig eingeblendet. »In den 1890ern«, las Regis Philbin, »wurde Heroin in den Vereinigten Staaten von Bayer in den Handel gebracht als ein Heilmittel für welche…?«
    »Hartnäckiger Husten«, antwortete Labin, ohne das Ende der Frage abzuwarten.
    Der Gastgeber zog eine Grimasse. Ihm war an prickelnder Spannung gelegen oder eigentlich an Zeitgewinn zugunsten von Werbeeinblendungen, aber nicht an einer Hetzjagd durch den Fragenparcours. »Sind Sie sicher? Immerhin geht es hier um eine halbe Million…«
    »Die Aktiengesellschaft Farbenfabriken – heute Bayer – hat Diacetylmorphin seit 1898 unter dem Namen Heroin als Hustensaft verkauft, angeblich auch für Kinder geeignet.
    Daneben wurde es bei rund vierzig weiteren Indikationen angewendet, nämlich bei Bluthochdruck, Lungen- und Herzerkrankungen, zur Geburts- und Narkoseeinleitung, als ›nicht süchtigmachendes Medikament‹ gegen die Entzugssymptome…«
    »Vielen Dank, Mr. Labin, für Ihre erschöpfende Auskunft«, ging der Quizmaster forsch dazwischen. »Dann bleiben Sie also bei Ihrer Antwort?«
    Ungeduld verdüsterte das Gesicht des Deutschen. »Ja doch!
    Kommen Sie endlich zur nächsten Frage, Mr. Philbin. Oder wollen Sie mich mit Ihrer Zeitschinderei um meine zehn Millionen bringen…?«
    Das Fernsehbild erlosch, nicht wegen irgendeinem Werbespot für ein Wunder wirkendes Medikament, sondern weil Kogan sich klammheimlich der Fernbedienung bemächtigt und die Schluss-mit-lustig-Taste gedrückt hatte.
    »Die Pause ist zu Ende, meine Herrschaften.«
    Karim verzog wie unter Schmerzen das Gesicht. »Musste das sein, Meister? In spätestens fünf Minuten hätte ich gewusst, ob er den Hauptgewinn kriegt!«
    »Er bekommt ihn«, sagten JJ und ihr Chef wie aus einem Munde.
    »Danke. So stelle ich mir spannende Unterhaltung vor«, brummte Karim.
    Justin bemerkte grinsend: »Hab gehört, Labin will als Nächstes Schachweltmeister werden. Ich wette, den könnten Sie nicht so leicht mattsetzen wie uns, Meister?«
    Kogan begegnete dem herausfordernden Blick des jungen Rebellen mit versteinerter Miene und ließ sich mit seiner Antwort Zeit. »Was zu beweisen wäre, Mr. Flock. Was zu beweisen wäre. Aber vielleicht geben Sie mir ja zwischenzeitlich eine Kostprobe Ihres Könnens.« Sein Gesicht entspannte sich etwas. »Doch genug der grauen Theorie, heute wollen wir eine Partie im richtigen Leben eröffnen.«

    »Sie reden jetzt aber nicht von Schach, oder?«, wagte Tianna zu fragen.
    Kogan lächelte jovial. »Das haben Sie fein bemerkt, Miss

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