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Der Mann, der nichts vergessen konnte

Titel: Der Mann, der nichts vergessen konnte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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die Simulation eines Krieges im Cyberspace, besser als jedes Computerspiel. Das Ganze gehöre zu einem internationalen Forschungsprojekt namens »Aspekte der geheimen Nachrichtenübermittlung als Mittel der Politik von der Antike bis zur Gegenwart«. Weltweit seien verschiedene Arbeitsgruppen tätig, das Team in der Fabrik gehöre nun auch dazu. Der größte Teil des Projekts habe öffentlichen Charakter, wenngleich bisher nur in Fachmagazinen darüber berichtet worden sei. »Was hier in Boston geschieht, unterliegt der Kontrolle der NSA und damit des Verteidigungsministeriums. Wenn Sie für den Rest Ihres Lebens nicht irgendeinem Schimmelpilz in einer Gefängniszelle Gesellschaft leisten wollen, dann bewahren Sie über unsere Arbeit absolutes Stillschweigen. Unser Forschungsgegenstand…«
    »Hübsche Metapher«, fiel Tianna ihm ins Wort.

    »Das war nicht bildlich, sondern buchstäblich gemeint, Miss Walsh«, bekräftigte Kogan ernst.
    Justin zog ein langes Gesicht und wedelte mit der Hand, bis er JJs wütenden Blick auffing und sich in seinem Drehstuhl demonstrativ aufrichtete.
    »Sind Sie fertig, Mr. Flock?«, fragte Kogan.
    Dem Witzbold fiel die Kinnlade herab. »Ja, Meister.«
    Einen Moment lang sah es so aus, als würden die Augen hinter den schwarzen Brillengläsern Justin mit Röntgenstrahlen durchbohren, dann fuhr Kogan in seinen Ausführungen fort, als wäre er nie unterbrochen worden.
    »Unser Forschungsgegenstand ist höchst brisant. Wenn die Erkenntnisse, die wir im Laufe des Experiments gewinnen werden, den falschen Leuten in die Hände fallen, könnte das zu einer globalen Katastrophe führen. Wir werden so realitätsnah wie möglich verschiedene Szenarien von Angriffen aus dem Cyberspace durchspielen, um die Verletzbarkeit unserer modernen vernetzten Gesellschaft zu analysieren und zu dokumentieren. Aus den Ergebnissen Ihrer Arbeit werden dann geeignete Schutzmaßnahmen entwickelt.«
    Justin hob die Hand wie ein braver Schuljunge in der ersten Klasse. Als Kogan darauf nicht reagierte, sprach er einfach drauflos. »Mal ehrlich, Meister. Glauben Sie wirklich, ein Häuflein Hacker könnte den USA oder sogar der ganzen westlichen Welt ernsthaft gefährlich werden?«
    Kogan lächelte. »Mal ehrlich, junger Freund. Hätten Sie gedacht, dass ein einziger Attentäter einen ganzen Weltkrieg auslösen kann? Trotzdem geschah genau das, nachdem Erzherzog Franz Ferdinand und seine Gemahlin im Juni 1914
    in Sarajevo ermordet wurden. Oder würden Sie es für möglich halten, dass der Angriff auf einen Radiosender einen Weltkrieg verursacht? Wohl kaum, aber trotzdem hatten die Nazis den vorgetäuschten Überfall auf den Sender Gleiwitz als Rechtfertigung für ihren Überfall auf Polen benutzt, womit das zweite globale Gemetzel des 20. Jahrhunderts eingeläutet wurde. Oder nehmen Sie Vietnam. Schon mal was vom Tonkin-Zwischenfall gehört? Angeblich griffen die Nordvietnamesen zweimal mit Schnellbooten und Torpedos einen unserer Zerstörer, die USS Maddox an. Präsident Johnson rechtfertigte mit dem zweiten Zwischenfall das offizielle militärische Engagement der Vereinigten Staaten in dem Konflikt zwischen Nord- und Südvietnam. Nur: Der Vorfall war ein Türke, ein Fake. Die NSA hatte nach allen Regeln der Kunst einen fingierten Bericht über den zweiten Angriff erstellt, auch, um eigene Fehler zu vertuschen. Ich könnte jetzt so weitermachen, Ihnen von den angeblichen Massenvernichtungswaffen erzählen, die Präsident George W. Bush zum Anlass für einen Angriff auf den Irak nahm, doch ich will Sie nicht langweilen. Was lernen wir aus solchen Vorfällen? Zwei Dinge, die ich Ihnen schon bei früherer Gelegenheit zu vermitteln versucht habe. Erstens: Nichts ist, wie es scheint. Wie im Schach, so ist auch im Krieg eine der wirksamsten Waffen die Täuschung. Und zweitens: Kleine Ursache, große Wirkung. An sich lächerliche Ereignisse können sich zu einer globalen Katastrophe auswachsen, nicht weil man ihre Dimension unterschätzt hat, sondern weil die Vorfälle zum einen eine momentane Stimmung geschickt ausnutzen wie ein Surfer die große Welle und zum anderen, weil sie von den Drahtziehern ablenken, die das Geschehen so ungestört bis zur Katastrophe eskalieren lassen können.«
    Justin holte tief Luft. »Okay. Hab’s kapiert.«
    Kogan schürzte die Lippen. »Deshalb habe ich Sie ausgewählt, Mr. Flock. Sie sind lernfähig.«
    Die übrigen Anwesenden hielten sich mit Kommentaren zurück. Das Gesagte leuchtete

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