Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Mann, der nichts vergessen konnte

Titel: Der Mann, der nichts vergessen konnte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
Vom Netzwerk:
vermitteln, du hättest bereits beide Beale-Blätter entschlüsselt. Viele hören doch bei solchen Berichten heute gar nicht mehr richtig hin und halten womöglich die beschriebenen Konsequenzen deiner Entdeckung für unabwendbar. Ich hätte nie geglaubt…« Anstatt ihre Gedanken mit Tim zu teilen, schüttelte sie nur den Kopf.
    »Was?«, hakte er nach.
    »Für meinen Mentor hatte ich mal ein Anwesen auf Deer Island gemietet und dort ein Seminar vorbereitet, in dem es um genau eine solche Eskalation ging. ›Kleine Ursache, große Wirkung‹, das ist einer seiner Lieblingssprüche. Er war immer der Überzeugung, der Krieg im Cyberspace sei mehr als ein Hirngespinst von Verschwörungsfanatikern. Die Angreifer könnten ein Ereignis wie dieses ausnutzen, um ihre Aktionen zu kaschieren und ihnen gleichzeitig Drive zu verleihen. Alles trifft ein, was wir in der Simulation…«
    »Moment mal«, unterbrach er sie. »In dem Bericht war keine Rede von irgendwelchen Manipulationen im Internet.«

    Sie lachte freudlos. »Glaubst du allen Ernstes, die Meldung von deiner Großtat allein könnte die Wall Street erschüttern?«
    Tim hielt ihrem fordernden Blick nur kurz stand, dann schüttelte er den Kopf. »Die Finanzmärkte sind durch die Immobilien- und Hypothekenkrise zwar hypersensibel geworden, aber ich gebe dir recht: Um die Aktienmärkte aufzumischen bedarf es wohl mehr als Gerüchte. Hast du diesbezüglich schon irgendwas von Big Brother gehört?«
    »Von meinem Arbeitgeber in Fort Meade, meinst du? Nein.«
    »Zumindest passt deine Theorie von den Cyberterroristen ganz gut.«
    Sie nickte.
    »Nein«, verbesserte sich Tim. »Ich meine, es passt zum Namen dieser Gruppierung, der ja vermutlich auch dein Stiefbruder angehört hat: ›Aliat Mansube‹. Kommt aus dem Arabischen. Wer im 9. Jahrhundert zu den aliat gehörte, der war ein Schachmeister. Sie repräsentierten die höchste Spielerklasse. Und das zweite Wort, mansube, ist ebenfalls arabischen Ursprungs. So nannte man künstliche Endspiele im Schach, nach ästhetischen oder technischen Gesichtspunkten entworfene Konstrukte: eine Ausgangsstellung wurde komponiert und musste dann zum Sieg geführt werden. Frei übersetzt nennt sich die Gruppe also…«
    »… ›Meister des Endspiels‹«, vollendete Jamila den Gedankengang. »Das bestätigt deine gestrigen Äußerungen über die Bauernopfer. Irgendjemand hält sich da anscheinend für den König der Aliat, und wie es aussieht, ist er ein besserer Taktiker als alle Analytiker von CIA und NSA zusammen.«
    Sie schüttelte ärgerlich den Kopf. »Die Stärke der USA ist für den Weltfrieden heute wichtiger denn je, Tim. Wenn diese Situation eskaliert, wird das nicht nur ein wirtschaftliches Desaster. Es könnte zu einer politischen Destabilisierung ungeahnten Ausmaßes kommen.«

    »Wegen des Gerüchts um eine falsche Unabhängigkeitserklärung? Das glaubst du doch selber nicht.«
    »Hast du mich nicht verstanden? Die Unabhängigkeitserklärung ist nur ein psychologisches Täuschungsmanöver, die Zündkapsel, wenn du so willst, die das Pulverfass explodieren lässt. In Wahrheit haben das momentane Chaos diese ominösen ›Meister des Endspiels‹
    angerichtet, Terroristen im Cyberspace.«
    »Damit erübrigt sich meine weitere Mitarbeit in diesem ›Projekt‹. Ihr wolltet die Ratten aus den Löchern locken. Das ist geschehen. Jetzt seht zu, wie ihr mit ihnen fertig werdet.«
    Sie schüttelte unwillig den Kopf. »Verrate mir eins, Herr Großmeister: Was haben Schach und die Finanzmärkte gemein?«
    »Die Verlierer sind immer die Bauern.«
    »Unsinn. Die Hälfte in einer Partie besteht aus Psychologie.
    Verstehst du nicht? Die Cyberterroristen haben den Spieß umgedreht. Sie machen sich unsere Schwäche zunutze: die Anfälligkeit der global vernetzten Gesellschaft für Gerüchte und Manipulationen aus dem Internet. Jede Komponente für sich ist beherrschbar, aber alles zusammen ergibt eine hochexplosive Mischung. Und wenn dann diese Bombe in einem Kartenhaus explodiert, was bleibt dann deiner Meinung nach übrig?«
    »Konfetti. Ich vermute, du redest nicht nur von den Vereinigten Staaten, oder?«
    »Nein, von der westlichen Welt als Ganzes und von den tönernen Füßen, auf denen sie steht. Sie stützt ihren Wohlstand auf ein mehr als anfälliges System aus Überschuldung, Spekulation, Korruption und eigennützigen Demokratien.
    Deshalb möchte ich dich auch bitten, weiter mit uns zusammenzuarbeiten. Nur, wenn wir die Chiffre

Weitere Kostenlose Bücher