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Der Mann, der nichts vergessen konnte

Titel: Der Mann, der nichts vergessen konnte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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der gepanzerte Wagen an der 1st Street vor einer monumentalen, hell erleuchteten Fassade, deren Erscheinungsbild nur von dem Kongressgebäude auf dem Capitol Hill gegenüber übertroffen wurde. Zur Abwehr etwaiger Angreifer hatten rund um den Komplex Scharfschützen des Emergency Reaction Teams der NSA Stellung bezogen. Weitere Elitekämpfer eilten zwecks Abschirmung der Zielperson zu dem von Kugeln zerkratzten Aspen.
    »So muss sich euer Präsident fühlen, wenn seine Umfragewerte im Keller sind«, witzelte Tim, während er das Fahrzeug verließ. Es war Galgenhumor, denn eigentlich fühlte er sich jämmerlich.
    Von einem guten Dutzend »Men in Black« wurde er zum Eingang eskortiert. Jamila blieb die ganze Zeit an seiner Seite.
    Der Springer und das Eichhörnchen liefen hinter ihnen.
    Das Thomas Jefferson Building der Library of Congress war eine stilistische Mischung aus italienischer Renaissance und amerikanischem Größenwahn. Empfindsamen Naturen konnte der Anblick der von einer Kuppel überragten Vierflügelanlage leicht den Atem rauben, Tim dagegen hatte schon früher hier geschlemmt.
    Er näherte sich mit seinen Bewachern dem bombastischen Bau frontal, soll heißen, über mehrere Treppen, die zu einem Vestibül mit drei Rundbögen emporführten. Während sie ein Podest überquerten, telefonierte Squirrel über Handy mit einem Mr. Lessing. Danach ging es weiter durch den mittleren Durchgang bis zu einem gewaltigen Bronzeportal, dessen Motive die Buchdruckerkunst glorifizierten. Davor befand sich eine zweigeteilte gläserne Tür, offenkundig wesentlich neueren Datums. Während Tims Leibgarde um ihn und seine Begleiter einen Halbkreis bildete, schob sich der schmächtige Agent an den anderen vorbei, drehte sich um und sagte: »Momentchen noch.«
    »Was, du hast keinen Nachschlüssel?«, zog ihn Jamila auf.
    Er schob sich mit dem Ringfinger die Brille zurecht. »Wenn ich wollte, käme ich da jederzeit rein. Aber hast du eine Ahnung, was so eine Tür wiegt?« Er deutete mit dem Daumen über die Schulter.
    »Eine Tonne«, sagte Tim.
    Squirrel runzelte die Stirn. »Unser neuer freier Mitarbeiter scheint ja tatsächlich ein Neunmalkluger zu sein.«
    »Neun dürfte nicht reichen«, nahm Jamila den Verspotteten in Schutz. »Sein Geist hat eben ganz nebenbei eine regional aufgefächerte Statistik über die Blinkfrequenz von Straßenbaustellenwarnlichtern in den USA erstellt und uns damit auf einen tödlichen Hinterhalt aufmerksam gemacht.
    Vielleicht würde keiner von uns mehr leben, wenn er nicht mindestens neunundneunzigmalklug wäre.«
    »Sagen wir neunundzwanzig; ich bevorzuge nämlich Primzahlen«, gab sich Tim bescheiden. Es gefiel ihm, dass Jamila sich so für ihn einsetzte.
    Squirrel ignorierte die Bemerkung und erklärte seiner Kollegin, die NSA hätte mit dem Bibliothekar eine Vereinbarung geschlossen: Er stelle ihr seine Räumlichkeiten zur Verfügung, und sie richte im Gegenzug an der denkmalgeschützten Einrichtung nicht mehr Schaden als nötig an. Knight grunzte nur und blickte auf die Leuchtziffern seiner Uhr.

    »Der Bibliothekar – ist das dieser Lessing?«, fragte Jamila.
    Das Eichhörnchen stieß ein spitzes Geräusch aus. »Gott bewahre, nein! Ainsworth Lessing ist nur ein Bibliothekar.
    Übrigens deutscher Herkunft wie unser Superhirn hier.« Er deutete auf Tim und stellte klar: »Ich spreche aber von dem Bibliothekar. Dem Chef von dieser Bude hier.« Er machte eine raumgreifende Geste.
    Tim hatte einmal gelesen, dass die Librarians of Congress –  also die »Bibliothekare des Kongresses« – vom Präsidenten persönlich ernannt wurden. In der über zweihundertjährigen Geschichte der Institution hatten nur etwas mehr als ein Dutzend Männer das ehrenvolle Amt bekleidet.
    Die Bronzetür begann sich zu bewegen, gravitätisch schwangen die beiden Flügel nach innen auf und gaben den Blick auf einen korpulenten Mann mit abstehenden Ohren und Halbglatze frei. Er trug einen zerknitterten braunen Anzug und war sichtlich übel gelaunt.
    »Da sind Sie ja endlich«, sagte er, nachdem auch die Glastür aufgeschlossen und geöffnet war. Missbilligend betrachtete er die Elitekämpfer vor dem Eingang.
    Squirrel überhörte den vorwurfsvollen Ton und deutete auf seine Begleiter. »Den Bruder hier kennen Sie ja schon«, kommentierte er Knights Anwesenheit, »das da ist die weltbekannte Historikerin Dr. Jamila Jason, und der gut aussehende Mann neben ihr ist…«
    »… der Schachweltmeister. Ich weiß«, fiel

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