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Der Mann, der nichts vergessen konnte

Titel: Der Mann, der nichts vergessen konnte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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zwei quaderförmigen Schrankkästen auf Tim wie eine Festung wirkte, verfügte das Büro über einen ovalen Besprechungstisch, ein wuchtiges Sofa, einen hellen Ohrensessel und anderes erlesenes Mobiliar. Drei Fenster, eines hinter und zwei neben dem Schreibtisch, blickten auf den Innenhof hinaus. Auf dem Boden lag ein riesiger Teppich, der das Parkett fast bis zu den Wänden bedeckte. Überdacht war das Ganze von einer kuppelförmigen, gold-, stuck- und gemäldeverzierten Decke. In deren Zentrum entdeckte Tim zu Füßen einer rothaarigen Schönen ein Spruchband: 
    LITERA SCRIPTA MANET

    »Das geschriebene Wort überdauert« – die lateinische Inschrift erinnerte ihn unwillkürlich an Thomas Jefferson Beales Vermächtnis.
    Dem Leiter der Abteilung für seltene Bücher & spezielle Sammlungen war offenbar nicht entgangen, was die Aufmerksamkeit des Gasts aus Übersee fesselte, denn er rückte ein wenig näher an diesen heran und sagte auf Deutsch:
    »Meine Mutter hat’s einfacher ausgedrückt: ›Wer schreibt, der bleibt.‹ Hier können Sie den tieferen Sinn dieser Worte ergründen, Dr. Labin.«
    Tim ging durch zwei beherzte Schritte schnell wieder auf Abstand und entschädigte den dadurch düpierten Bibliothekar mit einem Kompliment. »Dieses Zimmer ist wirklich sehr… inspirierend.«
    Lessing stellte auch die innere Distanz wieder her, deutete unter einem Deckenbogen hindurch und erklärte mit staubtrockener Sachlichkeit: »Im Kabinett des Sekretärs haben wir ein Bett für Sie aufgestellt.« Seine Hand schwenkte seitwärts. »Und gleich daneben ist das Bad.«
    »Ein Badezimmer?«, murmelte Jamila überrascht. Sie besuchte den Librarian’s Room wohl zum ersten Mal.
    Tim lief in die angewiesene Richtung. Das kleinere Büro war von dem des Oberbibliothekars durch ein Bücherregal mit obenliegender Galerie abgetrennt; der Durchgang lag genau in der Mitte.
    Im Reich des Sekretärs setzte sich die noble Eleganz fort, wenngleich hier unverkennbar für die zweckfremde Nutzung improvisiert worden war – das Bett an der Wand hatte Lessing ja bereits erwähnt. Das mit weißen und blauen Fliesen ausgekleidete Badezimmer entsprach mit seinen separaten Hähnen für kaltes und warmes Wasser und einigen anderen Anachronismen nicht mehr unbedingt den gängigen Sanitärstandards, doch auch hier hatten die Vorgänger des modernen Homo workaholic auf nichts verzichten müssen.
    »Alles, was ein Genie braucht, um die Welt zu retten«, bemerkte Squirrel grinsend aus dem Secretary’s Office.
    »Ein Wasserhahn tropft«, mäkelte Tim.
    »Ich werde den Hotelinstallateur darüber in Kenntnis setzen«, knurrte Lessing gereizt.
    Squirrel machte eine Geste in Richtung Hauptraum. »Mit dem Computer nebenan können Sie das Onlineangebot der Bibliothek abfragen und sich ins Internet einklinken. Als speziellen Service für unsere Gäste – na ja, und auch als Kommunikationskanal für uns – haben wir einen direkten Link nach Crypto City geschaltet. Ich werde Ihnen nach dem Ausschlafen alles zeigen. Selbstverständlich sind die Zugriffsmöglichkeiten für Sie eingeschränkt.«
    Er verriet nicht, ob sich die Zensur auch auf das Internet bezog, aber Tim war trotzdem froh, gewisse Recherchen schon in Cambridge erledigt zu haben.
    »Na schön, meine Dame, meine Herren«, sagte Lessing. »Für mich ist jetzt Feierabend. Die nötigen Ausweise und Berechtigungen für unsere sensiblen Bereiche haben Sie bereits bekommen. Wenn unsere Bibliothekspolizei Sie im Haus ohne Registrierungsnachweis antrifft, werden Sie verhaftet.« Er grinste. »Ich kann Sie dazu nur ermutigen.«
    »Vielen Dank für die freundliche Einweisung, Dr. Lessing«, entgegnete Jamila mit allem Charme, zu dem sie nach der strapaziösen Reise und dem Beschuss durch ein Killerkommando noch fähig war. Und es wirkte.
    Hörbar freundlicher antwortete der Bibliothekar: »Ich gehe jetzt nach Hause und frage meine Frau, ob sie mich noch ins Schlafzimmer lässt. Meine Handynummer haben Sie. Sollte was sein, rufen Sie mich an. Aber bitte nicht vor morgen früh um acht.«
    Nachdem Lessing gegangen war, fragte Tim: »Was ist mit euch? Hier gibt’s nur ein Bett.«
    Squirrel schob sich die Brille zurecht. »Eigentlich war das für uns alle gedacht. Haben Sie damit ein Problem?«
    Tim verzog keine Miene. »Sind Sie in Ihrer Freizeit Stand-up-Comedian?«
    Knight presste sich den Handrücken gegen den Mund, um nicht laut loszubrüllen.

    »Wir schlafen im Hyatt, schräg gegenüber. Alle Zugänge

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