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Der Mann, der nichts vergessen konnte

Titel: Der Mann, der nichts vergessen konnte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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beschützt dich Microbrain.«
    »Na toll. Ist er ein Klon von Squirrel? Hat sein Tarnname was mit künstlicher Intelligenz zu tun?«
    »Eher mit mangelnder Intelligenz. Als Bodyguard ist er aber ganz brauchbar. Owl war nicht sonderlich erfreut, als ich ihm von dem Vorfall vergangene Nacht berichtete. Er meint, wir hätten uns ein paar Fehler zu viel erlaubt. Das dürfe nicht so weitergehen, denn nach dem letzten Anschlag auf dein Leben könnte dein Vorrat an Glück aufgebraucht sein.«
    »Ach, und deshalb sperrt er mich ein?«
    »Es ist doch nur zu deiner Sicherheit, Tim.«
    »Ha!«, lachte er, aber es klang eher hysterisch als humorvoll.
    Sie deutete in Richtung Ausgang. »Du kannst jederzeit deine Sachen packen und verschwinden.«
    »Oh, was für ein großzügiges Angebot. Da sage ich doch nicht Nein.« Er warf die Decke zur Seite, bemerkte, dass er in der Unterhose geschlafen hatte, und verhüllte sich gleich wieder. »Ich kann auch nach dem Frühstück gehen.«
    Sie atmete tief durch, und ihre Stimme wurde sehr eindringlich, fast beschwörend. »Tim, ich habe mir das hier auch anders vorgestellt. Aber nach dem, was mit Karim passiert ist, kann ich Owls Vorsicht nicht so leichthin verteufeln, wie du das offenbar tust. Du merkst beim Memorieren doch sowieso nicht, was um dich herum geschieht. Was spielt es da für eine Rolle, ob du hier oder anderswo arbeitest?«
    »Willst du denn, dass ich bleibe?«
    Sie machte ein gequältes Gesicht. »Musst du immer wieder damit anfangen!«
    »Ja. Weil mir sehr viel an dir liegt, Jamila, und ich mir einfach nicht vorstellen kann, dass ich dir völlig gleichgültig bin. Gestern, als wir beschossen wurden und uns in dem Wagen wie zwei verängstigte Kinder aneinander geklammert haben, hast du es da nicht auch gespürt?«
    »Was?«
    Er stöhnte. »Nichts. Sag mir einfach, ob du mich weiter in deiner Nähe haben willst.«
    Sie holte Luft, schnaufte durch die Nase und ließ auf ihren bezaubernd roten Lippen die zarte Rose eines Lächelns erblühen. »Ja, Tim, ich möchte die Sache zusammen mit dir zu Ende bringen.«
    Emil Kogan spielte gerne den Blinden, er beherrschte diese Rolle nahezu perfekt, doch er sah besser, als die meisten auch nur ahnten. Im Büro trug er gewöhnlich eine Brille, deren Gläser sich je nach Stärke des Umgebungslichts mehr oder weniger dunkel einfärbten. Die Gläser schützten nicht nur seine überdurchschnittlich großen, vorstehenden, lichtempfindlichen Augen vor Blendung, sie bewahrten seine Gesprächspartner zugleich davor, von dem nicht unbedingt ästhetischen Anblick über Gebühr eingeschüchtert zu werden.
    Jamila Jason hatte dieser Makel nie gestört.
    »Wie hat er es aufgenommen?«, fragte ihr Chef. Sie saß mit ihm in ihrem Hotelzimmer im Hyatt Regency Washington, nur wenige Gehminuten von der Kongressbibliothek entfernt.

    »Dr. Labin hält sich wacker. Ist es wirklich nötig, ihn im Labor zu halten wie einen Gefangenen?«
    Er seufzte. »Du kennst die Antwort, kleine Morgiane. Aliat Mansube hat versucht, ihn umzubringen. Die Gruppe ist so weit gekommen, weil wir beide uns von Azam haben täuschen lassen. Ich kann nicht mehr das geringste Risiko eingehen.«
    Sie nickte ernst und schlug die Augen nieder.
    »Woran denkst du, Jamila?«
    »An das dritte Blatt der Beale-Chiffre.«
    Kogan lächelte. »Der Deutsche glaubt immer noch, ihm wäre als Ersten die Entzifferung gelungen, nicht wahr?«
    »Ich habe ihm nichts anderes erzählt. Trotzdem frage ich mich…« Sie schüttelte den Kopf, als wolle sie einen törichten Gedanken von sich weisen.
    »Sag, was dich bewegt«, ermutigte sie ihr Mentor.
    »Diese Theorie habe ich entworfen, weil wir die Feinde Amerikas ködern wollten, aber ein bisschen auch deshalb, weil ich sie für ein realistisches Szenario halte. Was müsste geschehen, damit Beales Vermächtnis erfüllt werden kann?«
    »Jetzt musst du mir helfen, Jamila. Worauf willst du hinaus?«
    »Thomas Beale wollte das Geheimnis der unechten Unabhängigkeitserklärung nicht ewig hüten. Er hat mit seinem Vermögen Vorsorge getroffen, es nur so lange zu bewahren, ›wie dem Wohl der Vereinigten Staaten von Amerika durch die Lüge besser gedient ist als durch die Wahrheit‹. Ich frage mich, ob dieser Zeitpunkt angesichts der momentanen Situation nicht gekommen ist.«
    Der alte Mann furchte die Stirn. »Was sind das für neue Töne, Jamila? Über solche Fragen zu entscheiden steht dir nicht zu.«
    »Wieso nicht? Die Loge hat seit jeher die

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