Der Mann, der niemals lebte
dortige Büro hatte Sadikis Telefon abgehört, um sicherzugehen, dass er nicht in Schwierigkeiten geriet. Weil er den ganzen ersten Januar über nicht ans Telefon gegangen war, hatte sich der Stellvertreter, der während Ferris' Abwesenheit die Operationen leitete, schließlich Sorgen um ihn gemacht und am späten Nachmittag einen seiner jordanischen Agenten zu ihm geschickt. Der Mann hatte in Sadikis Haus nur seine verstörte Familie angetroffen. Die Ehefrau des Architekten erzählte ihm, ihr Mann sei am Morgen mit ein paar Besuchern fortgegangen und seitdem nicht mehr zurückgekommen. Sie habe bereits im Büro, in der Moschee und im Kaffeehaus nach ihm gefragt, wo die Mitglieder der Ikhwan Ihsan nachmittags häufig zusammensaßen. Man hatte ihn aber nirgendwo gesehen. Sie erzählte weiter, irgendetwas habe ihren Mann in letzter Zeit sehr beschäftigt, und war davon überzeugt, dass es mit seinem Verschwinden zu tun haben müsse.
Nachdem er mit dem Büro in Amman gesprochen hatte, rief Ferris über eine sichere Leitung bei Hani an. Der hatte die Neuigkeiten bereits gehört und entschuldigte sich mehrmals dafür, dass Sadiki seiner Überwachung hatte entgehen können. Immer wieder beteuerte er, das sei alles seine Schuld. Das GID hätte viel besser auf den Architekten aufpassen müssen, hätte ihn nicht einfach so verschwinden lassen dürfen. Ferris hatte Hani noch nie so zerknirscht erlebt.
»Verdammte Scheiße«, murmelte er vor sich hin, nachdem er das Telefonat mit Hani beendet hatte. Seit ihrem ersten Treffen in Abu Dhabi hatte er befürchtet, dass Sadiki irgendwann etwas zustoßen würde. Sadiki war zu verwundbar, zu sehr die Spielfigur, die andere nach Belieben auf ihren Spielbrettern herumschoben. Ferris hatte sich selbst untersagt, zu viel über Sadikis mögliches Schicksal nachzudenken. Ein Abteilungsleiter, der sich zu viele Gedanken darüber machte, was seinen Leuten alles zustoßen konnte, war nicht mehr in der Lage, auch nur eine einzige Operation erfolgreich durchzuführen. Aber Sadiki gehörte ja nicht einmal zu seinen Leuten. Er war nichts, und er wusste nichts. Möglicherweise machte es das ja leichter für ihn, wenn seine Entführer ihn verhörten. Aber hinter den Sorgen, die er sich um Sadiki machte, verspürte Ferris noch eine sehr viel tiefer sitzende Angst, die er sich kaum eingestehen wollte. In Wirklichkeit ging es ihm nämlich weniger um Sadiki als vielmehr um die Tatsache, dass der Architekt persönlichen Kontakt mit Alice Melville gehabt hatte.
»Warum habe ich ihn nicht aus Jordanien herausgeholt?«, fragte Ferris Hoffman, als er ihn eine Stunde später endlich an der Strippe hatte. »Warum habe ich nichts unternommen, um ihn zu schützen? Es hätte mir doch klar sein müssen, dass sie ihn sich holen.«
»Dem passiert schon nichts. Die werden ihn melken, und er wird ihnen sagen, was er weiß: nämlich gar nichts. Er wird abstreiten, irgendwas mit Incirlik zu tun zu haben, und sagen, dass er nur im Rahmen eines Bauprojekts für eine amerikanische Bank in der Türkei war. Dann wird er ihnen von Brad Scanion erzählen. Und die werden ihm natürlich nicht glauben und ihn windelweich prügeln, aber irgendwann einmal wird ihnen klar werden, dass er die Wahrheit sagt.«
»Sie werden ihn umbringen.«
»Das glaube ich nicht. Und selbst wenn – so was passiert eben, das sage ich Ihnen doch schon die ganze Zeit. Wenn wir uns wegen jedem Typen, den's erwischt, gleich in die Hosen machen, kommen wir doch nie einen Schritt weiter.«
»Großer Gott, was sind Sie nur für ein kaltblütiger Mistkerl.«
»Sie doch auch«, gab Hoffman zurück. »Sie wollen es bloß nicht zugeben.«
Hoffman machte es tatsächlich nichts aus. Was ihn betraf, hätten die Menschen, um die es bei seinen Operationen ging, genauso gut Spielsteine auf einem Damebrett sein können.
»Und als Nächstes schnappen sie mich«, sagte Ferris. »Wenn sie Sadiki verhören, wird er mich verraten, und dann wissen die, wer ich bin.«
»Keineswegs. Er kennt nur Ihren Decknamen, sonst nichts. Ihre Tarnung war perfekt, die Legende ist absolut wasserdicht. Die trägt – machen Sie sich deshalb also keinen Kopf. Demnächst wird Ihr Omar wieder seiner Arbeit nachgehen, vielleicht mit ein paar Fingern und ein paar Zehen weniger, aber wen stört das schon? Wenn Sie wollen, können Sie sich ein Ferienhäuschen von ihm bauen lassen.«
»Sie werden Sadiki bestimmt fragen, ob er in Amman Kontakt mit Amerikanern gehabt hat, und darüber
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