Der Mann, der niemals lebte
gab viel zu viel, was er nicht wusste.
Ein paar Minuten später traf Hani Salaam mit den Spurensicherungsleuten vom jordanischen Geheimdienst ein. Sie streiften sich Latexhandschuhe über und machten sich an die Arbeit. Nach dem, was Ferris aus ihrem Funkverkehr mit der Zentrale mitbekam, hatte Hani bereits Straßensperren einrichten lassen, die sämtliche Fahrzeuge nach Alice durchsuchten. Durch das Fenster sah er, wie Soldaten in den dunkelblauen Uniformen der jordanischen Spezialstreitkräfte draußen vor dem Haus die Straße abriegelten.
Nachdem er seine Leute eingewiesen hatte, kam Hani zu Ferris, der am anderen Ende des Zimmers zwischen zwei Spiegeln in Rosenholzrahmen stand, und küsste den jungen Amerikaner auf beide Wangen. Als Ferris die Sorge im Gesicht des Jordaniers sah, traten ihm plötzlich die Tränen in die Augen. Er konnte nicht anders, er musste seinen Kopf an Hanis Schulter legen, so wie er es früher bei seinem Vater getan hatte. »Es wird alles gut«, sagte Hani mehrmals hintereinander und klopfte Ferris dabei sanft auf den Rücken.
Ferris blieb einen Moment lang so stehen, und als er sich wieder aufrichtete, bat er den Jordanier um ein Gespräch unter vier Augen. Sie gingen ins Schlafzimmer, und als Ferris Stellvertreter und der FBI-Agent ihnen folgen wollten, bedeutete er ihnen mit einer Handbewegung, dass sie im Wohnzimmer bleiben sollten. Im Schlafzimmer zog er den Stecker des Telefons auf dem Nachttisch aus der Buchse und schraubte Hör- und Sprechmuschel aus dem Hörer. Niemand sollte mithören können, was er Hani jetzt sagen wollte. Dann ließ er sich auf der Bettkante nieder und forderte den Jordanier auf, sich neben ihn zu setzen.
»Ich brauche Hilfe«, sagte Ferris mit leicht zitternder Stimme. »Werden Sie mir helfen? Ich muss das wissen, bevor ich mit Ihnen rede.«
Hani nickte, aber sein Gesicht verfinsterte sich.
»Ich glaube, dass ich weiß, was mit Alice passiert ist«, sagte Ferris. »Und das macht mir große Angst.«
»Sagen Sie mir, was los ist. Mit Ihrer Hilfe finden wir sie.«
»Ich glaube, dass die al-Qaida sie entführt hat.«
Hani schüttelte milde lächelnd den Kopf. »Warum sollte die al-Qaida das denn tun? Ihre Freundin ist doch eine Art Sozialarbeiterin, die viel mit palästinensischen Kindern zu tun hat, oder nicht? Was gäbe es für einen Grund, sie zu entführen?«
Ferris war sich bewusst, dass er verbotenes Terrain betrat. Eigentlich hätte er zuerst Hoffman anrufen und mit ihm einen Schlachtplan ausarbeiten müssen, aber der Gedanke an die Regeln und Einschränkungen der CIA weckte einen heftigen Widerwillen in ihm. Genau das hatte Alice ja in diese Lage gebracht. Er musste jetzt unbedingt mit Hani sprechen und ihn zum Handeln bringen, bevor alles zu spät war.
»Könnten Sie mir wie ein Freund zuhören und die Teile meiner Geschichte, die nicht Alices Sicherheit betreffen, danach wieder vergessen? Wäre das möglich?«
»Natürlich ist das möglich, mein Lieber. Ich war immer Ihr Freund, selbst dann, als Sie nicht der meine waren.«
»Also gut. Die al-Qaida hat Alice vermutlich deshalb entführt, weil sie einen Mann kennt, mit dem wir arbeiteten. Es ist der jordanische Architekt, über den wir schon gesprochen haben, Omar Sadiki.«
Hani riss erstaunt die Augen auf. »Ihre Freundin kennt Sadiki? Den Omar Sadiki, der in Verdacht steht, etwas mit dem Bombenanschlag von Incirlik zu tun zu haben? Aber wieso arbeiten Sie mit ihm? Wie kann das sein, mein Lieber? Sie wollen mir doch nicht etwa sagen, dass er Ihr Agent ist?«
»Fragen Sie mich bitte nicht danach. Nicht jetzt. Aber ich bin mir sicher, dass Sadiki nicht geflohen ist, als er am Neujahrstag verschwand. Die al-Qaida muss ihn sich geschnappt haben, um herauszufinden, was er weiß. Bestimmt haben die ihn wegen seiner Verbindungen mit Amerikanern durch die Mangel gedreht, dabei konnte er absolut nichts über uns sagen, weil wir unsere Spuren sehr gut verwischt haben. Aber er wird ihnen erzählt haben, dass er mit Alice Melville zu tun hatte und sie manchmal bei ihren Hilfsprojekten unterstützt hat.«
»Oje«, sagte Hani knapp. »Das ist schlecht.« Etwas Schlimmeres hätte er kaum sagen können, denn es bestätigte Ferris’ Befürchtung, dass Alice sich in großer Gefahr befand. Der Jordanier schwieg eine Weile, bevor er wieder das Wort ergriff.
»Arbeitet sie denn für Sie, diese Alice Melville? Ist sie eine inoffizielle Mitarbeiterin der CIA?«
»Nein, wo denken Sie hin? Alice hasst die
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