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Der Mann, der niemals lebte

Titel: Der Mann, der niemals lebte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ignatius David
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kommen sie dann vielleicht doch auf mich.«
    Hoffman klang merklich gereizt. »Vielleicht sagen Sie mir jetzt freundlicherweise mal, was Sie eigentlich von mir wollen, Roger. Ich habe nämlich eine Menge zu tun.«
    Ferris kämpfte mit sich, ob er Hoffman offenbaren sollte, was ihm so schwer auf der Seele lastete: dass Omar Sadiki eine Amerikanerin kannte, die ihrerseits mit einem Amerikaner befreundet war, der in der Botschaft arbeitete und Roger Ferris hieß. Aber er konnte sich nicht dazu durchringen, denn er spürte in diesem Augenblick, dass er sein Vertrauen in Hoffman verlor. Nachdem er aufgelegt hatte, versuchte Ferris, Alice Melville zu erreichen. Sie nahm nicht ab, weder zu Hause noch im Büro, noch auf dem Handy. Vielleicht war sie ja unterwegs. Vielleicht hatte sie einen Kater. Oder sie war auf eine Reise aufgebrochen. Oder hatte einen neuen Liebhaber. Mit wachsender Panik trat Ferris den Nachtflug nach London an. Der Knochen, den er bis zum Äußersten belastet hatte, war offenbar gebrochen.
     

 
Amman  
    Als Ferris am späten Nachmittag des 2. Januar nach Jordanien zurückkehrte, herrschte auf dem Queen-Alia-Flughafen eine müde, schale Nachfeiertagsatmosphäre. Der Beamte an der Passkontrolle warf nur einen flüchtigen Blick auf die Fahndungsliste in seinem Computer, bevor er Ferris einen Stempel in den Pass gab und ihn durch winkte. Im noch immer weihnachtlich dekorierten Duty-Free-Laden, wo sich auch muslimische Reisende gerne mit Schnaps und Zigaretten eindeckten, herrschte gähnende Leere, und sogar die Gepäckträger, die in Erwartung eines großzügigen Trinkgelds sonst immer aufgeregt um ankommende Reisende herumscharwenzelten, kamen Ferris diesmal seltsam zurückhaltend vor. Ein Sandsturm aus der Wüste heulte um das Flughafengebäude und sorgte draußen für ein gespenstisches Dämmerlicht. Autos tauchten wie Phantome erst im letzten Augenblick aus den ziegelroten Sandschleiern auf, die der Sturm durch die Stadt trieb, und beim Einatmen spürte Ferris die winzigen Sandkörnchen kratzend im Hals.
    Gleich nach der Landung hatte er Alice angerufen, aber sie war wieder nicht rangegangen. Ferris beschloss, direkt zu ihrer Wohnung in der Altstadt zu fahren. Er hatte inzwischen einen Schlüssel, und Alice hatte ihm immer wieder gesagt, wie schön sie es fand, überrascht zu werden. Während der Fahrt versuchte er ruhig zu bleiben und positiv zu denken. Wenn sie unterwegs war, würde er auf sie warten und vielleicht schon mal das Abendessen vorbereiten und die Kerzen anzünden. Und dann würden sie einen neuen Anfang machen – oder besser: erst ein Ende und dann einen neuen Anfang. Es würde vermutlich ein, zwei Stunden brauchen, vielleicht auch das eine oder andere Glas Wein, um die anfängliche Befangenheit aufzuweichen. Nach einiger Zeit würde Alice dann Scherze über ihre Kollegen machen oder ihm einen Vortrag über Amerika und die Araber halten, und wenn die Stimmung sich erst einmal entspannt hatte, würde er ihr seine Lügen beichten und mit ihr etwas Neues anfangen, das auf dem Fundament der Wahrheit stand.
    Nachdem Ferris vor Alices Wohnhaus aus dem Taxi gestiegen war, drückte er an der Haustür auf ihren Klingelknopf, erhielt aber keine Antwort. Also sperrte er selbst auf und stieg die Treppe zu ihrer Wohnung hinauf. Die Tür stand einen Spalt weit offen, was Ferris zunächst erleichtert stimmte, weil sie dann ja auf jeden Fall zu Hause sein musste. Er stieß die Tür ganz auf und rief in die Wohnung hinein. Als ihm niemand antwortete, ging er ins Schlafzimmer in der Hoffnung, sie dort zu finden, aber bis auf den Kater Elvis, der auf dem Bett lag, war dort niemand. Als Ferris sah, dass die Tür zum Bad geschlossen war, glaubte er zu wissen, wo Alice war. Jeden Moment würde sie anfangen, unter der Dusche ein Lied von Joni Mitchell zu trällern. Er öffnete die Tür und stellte fest, dass auch das Badezimmer leer war. Und da begann er, sich ernsthafte Sorgen zu machen.
    Er ging zurück zur Wohnungstür und sah sich noch einmal in allen Zimmern um, wobei er immer wieder laut nach Alice rief. Beim ersten Mal hatte er nicht genau hingesehen, und so entdeckte er erst jetzt, dass einiges in der Wohnung nicht stimmte. So lag beispielsweise der Läufer im Flur seltsam schief. Im Wohnzimmer hatte jemand Bücher aus den Regalen gezogen. Einige lagen wild durcheinander auf dem Couchtisch, andere steckten auf dem Kopf stehend oder mit dem Rücken zur Wand wieder im Regal. Auf dem Küchentisch

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