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Der Mann, der niemals lebte

Titel: Der Mann, der niemals lebte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ignatius David
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würde sich alles andere von selbst ergeben. Hinter sich hörte er, wie die Tür ins Schloss gezogen wurde.
    Drinnen in der Wohnung stand ein zweiter Mann. Auch er hatte einen langen, dichten Bart und trug eine gestrickte Gebetskappe. Der kalten Intensität seines Blicks nach zu schließen hätte er Süleymans Bruder sein können.
    »Ich bin Hassan«, sagte er. »Wer sind Sie?«
    »Ich habe ein Video für Sie. Es ist von Raouf«, antwortete Ferris. »Er hat mich beauftragt, es Ihnen zu geben, für Al Dschasira. Das war sein letzter Wünsch. Er sagte, dass Sie darauf warten würden.«
    »Sind Sie der Amerikaner, von dem Raouf gesprochen hat?«
    »Ja«, sagte Ferris. Er spürte, dass er immer tiefer in etwas hineingezogen wurde, aber das war ihm jetzt egal. Im Augenblick zählte nur, dass Hassan das Video annahm.
    Hassan nickte. Er schien zu wissen, wer Ferris war, wirkte aber nicht gerade glücklich darüber, ihn hierzuhaben. »Wir warten schon seit Tagen auf dieses Band, aber dann ist der Kontakt zu Raouf plötzlich abgebrochen. Wo ist er? Warum haben wir nichts mehr von ihm gehört?«
    »Das kann ich Ihnen nicht sagen«, entgegnete Ferris. »Ich weiß nur, dass ich Ihnen das hier geben soll.« Er reichte dem Mann die Kassette, die dieser sorgfältig auspackte und sie dann lange betrachtete. Nachdem er die arabischen Schriftzeichen auf dem Etikett gelesen hatte, nickte er. Offenbar waren sie ein geheimer Code.
    »Gott sei gepriesen«, sagte er.
    »Gott sei gepriesen«, wiederholte Ferris. »Ich werde jetzt gehen. Raouf hat gesagt, dass ich gehen soll, sobald ich Ihnen das Band übergeben habe.«
    »Nein«, sagte Hassan. »Zuerst sehen wir uns gemeinsam das Video an.«
    Ferris wurde auf einmal ganz heiß. Er hatte das Gefühl, als würden sich die Wände des Zimmers zusammenschieben, um ihn zu erdrücken.
    »Ich muss gehen«, sagte er und bewegte sich rückwärts in Richtung Tür. »Wenn Sie das Band sehen, werden Sie alles verstehen. Al Dschasira muss es unbedingt seinen Zuschauern zeigen.«
    »Was im Sender gezeigt wird, entscheiden wir«, sagte Hassan und gab die Videokassette dem anderen Mann, der in dem kleinen Wohnzimmer einen Fernseher mit eingebautem Videorekorder einschaltete. In ein paar Sekunden würde er die Kassette einlegen, und die ersten Bilder würden auf dem Bildschirm erscheinen. Ferris hatte keine Zeit zu verlieren.
    »Ich muss gehen«, wiederholte er. »Jetzt sofort.«
    Hassan trat hinter ihn, um ihm den Weg zur Tür zu versperren. Das war’s dann wohl, dachte Ferris. Er warf einen Blick zum Fenster und glaubte sich zu erinnern, dass der Laden im Erdgeschoss eine Markise hatte.
    »Spiel das Band ab«, sagte Hassan zu dem anderen Araber, der daraufhin die Kassette in den Videorekorder schob. Der Bildschirm erwachte zum Leben.
    Ferris rannte instinktiv los und dachte dabei weder an sein kaputtes Bein noch an seine geschundenen Muskeln und Gelenke. Als er das Fenster erreicht hatte, riss er die Arme hoch, um seinen Kopf so gut wie möglich zu schützen, und warf sich mit voller Wucht gegen die Scheibe. Er hörte das Splittern des hölzernen Fensterrahmens und spürte, wie sich spitze, scharfe Glasscherben in seine Haut bohrten. Und dann befand er sich im freien Fall nach unten und dachte darüber nach, ob er wohl auf dem harten Kopfsteinpflaster oder dem weichen Stoff der Markise aufkommen würde. In Wirklichkeit dauerte es nur Bruchteile einer Sekunde, aber Ferris kam es vor wie eine kleine Ewigkeit – zuerst prallte er gegen den Rahmen der Markise, was die Wucht seines Sturzes glücklicherweise stark abmilderte, und dann der Länge nach aufs Straßenpflaster.
    Die verbliebenen Leute auf der Straße schrien laut auf und deuteten auf Ferris, der sich selbst erst mit der unversehrten Hand an den Hinterkopf fassen und dann seine Handfläche betrachten musste, um zu merken, dass er stark blutete. Ihm blieben nur ein paar Augenblicke, bis Hassan und sein Helfer die Treppe hinunterrennen und die Verfolgung aufnehmen würden. Er rappelte sich auf und machte ein paar taumelnde Schritte, bis er das Gleichgewicht gefunden hatte. Dann rannte er so schnell, wie sein schlechtes Bein es ihm gestattete, die Straße entlang. Die Leute schrien immer noch, aber das war ihm egal. Unter den gegebenen Umständen hoffte er fast, dass ein Polizist auf ihn aufmerksam würde und ihn verhaftete. Aber es kam niemand.
    Erst als er sich dem Tor von Bab Touma näherte, merkte er, dass Hassan und der andere Mann ihn gar nicht

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