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Der Mann, der niemals lebte

Titel: Der Mann, der niemals lebte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ignatius David
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geschweige denn Ferris.
    Sie trafen sich in dem Krankenhaus in Tripolis, wo Alice während Ferris’ Abwesenheit geblieben war. Als sie zum ersten Mal zu ihm in den Wintergarten trat, konnte Ferris nicht anders: Er brach in Tränen aus. Er machte mehrere Anläufe, ihr zu erzählen, was passiert war, gab es dann aber auf und ließ sich einfach nur von ihr im Arm halten. Alice sah seine Wunden an Gesicht und Hals, und als sie nach seiner verbundenen Hand griff, stellte sie erschrocken fest, dass der kleine Finger fehlte. Alles weitere konnte sie sich ohnehin zusammenreimen. Und Ferris brachte es im Augenblick noch nicht fertig, ihr von seinem letzten Kampf in Damaskus zu berichten. Dafür war später noch Zeit genug, wenn er es überhaupt jemals tun würde.
    Als sie schließlich aus dem Krankenhaus in die strahlende Wintersonne des nördlichen Libanon hinaustraten, wartete vor dem Eingang ein Wagen mit Chauffeur auf sie, den Hani ihnen zur Verfügung gestellt hatte. Das Meer vor ihnen glitzerte tiefblau, und auf dem Gipfel des Berges Libanon hinter ihnen leuchtete der Schnee. Die Reinheit des Lichtes und der Farben schien einen Teil des Makels abzuwaschen, den Ferris immer noch an sich haften fühlte. Gemeinsam besuchten sie die Moschee in Tripolis, wo sein Urgroßvater nach Hanis Informationen ein angesehener Geistlicher gewesen war. Und als Ferris Alice danach das Steinhaus zeigte, in dem sein Großvater zur Welt gekommen war, lächelte sie wissend, als wäre auch ihr schon immer klar gewesen, dass er eigentlich Muslim war.
    Am Nachmittag fuhren sie an der Küste entlang Richtung Süden, nach Beirut. Hani hatte ihnen eine Suite im Hotel Phoenicia reserviert, von der aus man einen schönen Blick auf den halbkreisförmigen Hafen und den schneebedeckten Libanon in der Ferne hatte. Alice hängte das »Bitte nicht stören«-Schild an die Tür, und dann zogen sie einander langsam aus, wobei Alice sorgsam darauf achtete, dass sie nicht an Ferris’ Verletzungen kam. Als sie beide nackt waren, führte sie ihn zum Bett hinüber. Sie ließen sich viel Zeit, ehe sie miteinander schliefen, berührten einander ganz sanft, erinnerten sich und ließen die Liebe und die Leidenschaft ganz langsam zurückkehren. Ferris wartete ab. Jetzt war es nicht mehr an ihm, sondern an Alice, den ersten Schritt zu tun. Und den tat sie schließlich auch.
    Sie verbrachten die Nacht und den ganzen folgenden Tag im Bett, ließen sich die Mahlzeiten vom Zimmerservice heraufbringen und verzehrten sie auf der Terrasse ihrer Suite, die aufs Meer hinausging. Jetzt hatten sie alle Zeit der Welt, es gab keine Termine und auch keine Lügen mehr. Am Nachmittag döste Ferris im Halbschlaf vor sich hin, bis er plötzlich merkte, dass Alice ihm ein Schlaflied sang. Als sie sah, dass er aufgewacht war, hielt sie kurz inne, sang dann aber weiter und strich ihm dabei durch das widerspenstige schwarze Haar. Ferris ließ seine Gedanken zurückwandern und dachte noch einmal über alles nach, was in den letzten Monaten geschehen war. Vieles von dieser ganzen Geschichte konnte man nur in der Rückschau begreifen, aber er wusste immer noch nicht genau, wie er die Dinge in die richtige Reihenfolge bringen sollte.
    »Hani hat dich auch eingeweiht, oder?«, sagte er.
    »Ja, aber erst ganz zum Schluss.« Alice hörte auf zu singen, strich ihm aber weiter durchs Haar. »Ich war vorher schon mehrmals in Syrien. Ich wusste, was ich tat.«
    »Warst du für Hani dort?«
    »Ja. Er hat dafür gesorgt, dass ich in Jordanien bleiben kann, also habe ich ihm auch hin und wieder einen Gefallen getan. Aber dieses letzte Mal war es wegen dir. Er hat mir versprochen, dass dir nichts geschehen wird. Und er hat gesagt, dass du niemals richtig frei sein kannst, wenn du diese Sache nicht zu Ende bringst.«
    »Gibt es irgendetwas, was ich unbedingt wissen sollte?«
    Sie dachte eine Weile nach. »Nein«, sagte sie dann. Sie lächelte und strich ihm über die Wange, und irgendwann schlief sie neben ihm ein.
     
    In Hanis Privatjet flogen sie nach Amman zurück. Dort wartete Hoffman, der sich seinen Ärger über Ferris nicht anmerken ließ. Immerhin heimste er ja auch die Lorbeeren für alles ein, genau wie Hani es vorausgesagt hatte, selbst für das Video, das auf Al Dschasira gelaufen war. Er wollte ein abschließendes Gespräch mit Ferris über die Operation, und Ferris willigte ein. Es dauerte über eine Stunde, bis er Hoffman die ganze Geschichte erzählt hatte, und er ließ dabei nichts

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