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Der Mann, der niemals schlief: Ein Tom-Sawyer-Roman

Der Mann, der niemals schlief: Ein Tom-Sawyer-Roman

Titel: Der Mann, der niemals schlief: Ein Tom-Sawyer-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon X. Rost
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war alles voller getrocknetem Blut.
    Die umgestürzte Eibe, an die der Mörder Jeb gefesselt hatte, war an zwei Stellen dicht mit Blut bespritzt. In der Mitte, wo Jebs Körper gewesen war und die Blutspritzer abgefangen hatte, fand Tom Fasern eines Seils, die in der Rinde hängen geblieben waren.
    Sie standen eine Viertelmeile südlich des Lovers’ Leap im Schatten hoher Pavien und uralter Eiben. Der Boden war übersät mit den eiförmigen Blättern der Pavien, und er war zudem zertrampelt von zwei verschiedenen Paar Stiefeln, wie Tom glaubte, aber sicher war er sich nicht. Als er an den Eisenbahngleisen das Blatt in Beckys Hand entdeckt hatte, musste Tom an Dobbins’ Worte und das Feuer aus den rötlichen Zweigen denken, das er vor einigen Nächten auf dem Lovers’ Leap entfacht hatte.
    Die Gegend um St. Petersburg war dicht bewaldet, doch echte Pavien wuchsen fast nur auf dem Hügel im Süden der Stadt. Becky hatte die Pferde besorgt, während Tom zum Gefängnis gelaufen war, um nach Huck zu sehen. Der hatte geschlafen, und Tom wollte ihn nicht wecken.
    Huck hatte besser ausgesehen, er hatte nicht mehr gezittert, und sein Atem ging ruhig. Als Becky Tom am Gefängnis abgeholt hatte, hatte der beschlossen, seinen Freund später noch einmal zu besuchen.
    Nach einem kurzen Ritt bergauf hatten sie die Pferde auf der Hügelkuppe angebunden und waren, nachdem sie dort nichts fanden, in Schlangenlinien durch den in der Hitze brütenden Wald bergab gegangen. Sie hatten nach weiteren Pavien Ausschau gehalten. Kurze Zeit später stießen sie auf einen schmalen Trampelpfad. Hollis schnupperte aufgeregt und rannte voraus.
    Er roch das Blut.
    Gleich darauf hörten sie sein Bellen, folgten dem Pfad zu einer versteckt gelegenen Lichtung zwischen roten Pavien und hatten damit den Schauplatz des Mordes gefunden. Tom bat Becky, am Rande der Lichtung zu warten, und hatte den Boden zunächst allein untersucht. Aber außer dem Blut und den Seilfasern hatte er nichts entdeckt.
    »Warum hat er ihn nicht hiergelassen?« Becky stand noch immer im Schatten der jungen Pavien am Rande der Lichtung, während Tom sich in der Hocke über den Waldboden bewegte und nach Spuren suchte. Das durch die Bäume schräg einfallende Sonnenlicht sprenkelte Beckys Haar mit hellen Flecken, und ihr dunkelgrünes Musselinkleid verschwamm vor den Büschen im Unterholz, als hätte sie sich tarnen wollen.
    Tom schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht. Vielleicht … hier kommen gelegentlich Jäger vorbei«, überlegte er.
    »Schon richtig. Aber Ripleys Schweinepferch ist auch nicht gerade abgeschieden.«
    »Ich hab kein Ahnung, Becky, vielleicht hat der Mörder gehofft, dass die Schweine sich so lange an Jeb zu schaffen machen, dass man nicht mehr erkennen kann, um wen es sich bei der Leiche handelt. Vielleicht war es tatsächlich Dale, und der ist nicht sonderlich helle, und wer weiß schon, warum dieser kranke Bastard macht, was er eben macht, und … Ach, was weiß ich.« Tom verstummte. Er war enttäuscht und zugleich wütend, dass ständig neue Rätsel auftauchten, ohne dass er der Klärung seiner anderen offenen Fragen auch nur einen Schritt näher gekommen wäre. Warum hätte Pollys Mörder auch Jeb umbringen sollen? Machten sie gemeinsame Sache? Hatte er Jeb beauftragt, Tom zu verprügeln und auf die Gleise zu legen? Wusste Jeb, dass sein Mörder vielleicht auch für das Verschwinden von Frauen aus St. Petersburg verantwortlich war? War das überhaupt derselbe Mann? Hatte Jeb sich freiwillig mit ihm getroffen, oder hatte Jeb ihn bei irgendetwas ertappt und war das Opfer eines Überfalls geworden?
    Tom hätte die Liste der Fragen endlos fortsetzen können.
    Er stand auf, trat zornig ein paar Blätter beiseite, dann atmete er tief durch und deutete auf eine Schneise im Gebüsch am Rande der Lichtung. »Dorthin muss er Jeb geschleppt haben. Der Mörder ist kräftig, Jeb war zwar ein kleiner Mann, aber einen Mann zu ziehen ist nicht einfach, auch wenn man ziemlich stark ist. Und er wird ihn wohl kaum quer durch St. Petersburg geschleppt haben. Irgendwo da unten hat er ihn auf ein Pferd oder auf einen Karren umgeladen, will ich wetten.«
    Tom stand auf und schob sich durch die Büsche, dort, wo die Schneise war. Er hielt den Blick auf den Boden und die umgeknickten Zweige gerichtet, in der Hoffnung, weitere Spuren zu finden. Hollis lief dicht vor ihm, die Nase knapp über den verwelkten Blättern.
    Becky folgte beiden mit etwas Abstand, während sie

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