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Der Mann, der niemals schlief: Ein Tom-Sawyer-Roman

Der Mann, der niemals schlief: Ein Tom-Sawyer-Roman

Titel: Der Mann, der niemals schlief: Ein Tom-Sawyer-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon X. Rost
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oder zwei Jahren bin ich ein sehr, sehr reicher Mann, Tom. Und bis dahin wollte ich unserer Tante das Leben ein bisschen leichter machen.«
    Stille senkte sich über den Raum. Tom kaute auf der Innenseite seiner Backe, blickte bekümmert aus dem Fenster. Seine Theorie war nicht nur dahin, er hatte Sid auch vollkommen falsch eingeschätzt. Geknickt sah er seinen Halbbruder an. »Entschuldigung, Sid. Ich … ich hatte ja keine Ahnung.«
    Sid schob die Unterlippe vor und verschränkte die Hände vor dem Bauch. Er nickte, und das Rot seiner Wangen wurde langsam blasser. »Entschuldigung angenommen. War’s das? Kann ich weiterarbeiten, oder willst du mich immer noch erschießen?«
    Er grinste schief, und Tom lächelte schmal zurück. »Nein. Das war’s nicht. Du weißt, dass ich es nicht vergessen habe, nur weil du diese Sache …«, Tom tippte auf die Verträge und Dokumente, die auf dem Tisch lagen, »… nur weil du das hier erklärt hast.«
    Sid seufzte, rieb sich mit Daumen und Zeigefinger die Augen. »Dann frag mich doch einfach! Sag, was du zu sagen hast.«
    »Sally Austin.«
    Sid nickte wieder. »Sally.« Er holte tief Atem und blies die Luft geräuschvoll wieder aus. Dann hob er die Handflächen und zuckte mit den Schultern. »Was soll ich dir erzählen, Tom? Ihr Vater ist Kunde unserer Bank, ich bin Kunde in Lucius’ Laden. Polly hat ihm Decken verkauft. Sally und ich … wir haben uns ein paarmal gesehen, und ich glaube, die Kleine hat sich irgendwie in mich verguckt! Aber ich hab ihr klargemacht, dass sie das vergessen kann. Und das war’s, mehr gibt’s da nicht zu sagen!«
    Tom hob den Lauf des Colt-Pocket-Navy-Revolvers und drückte ab. Das Holz der Armlehne von Sids Stuhl splitterte, Sid schrie auf und zog rasch den rechten Arm an den Körper. »D-du! Du bist wahnsinnig!«
    »Ich hab dir gesagt, du sollst mir keinen Scheiß erzählen, Siddy! Man hat euch gesehen, dich und Sally, also erzähl mir keinen Scheiß, ja?«
    »Man hat uns gesehen?« Jegliche Farbe wich aus Sids Gesicht.
    Man hörte schnelle Schritte, die Tür wurde einen Spaltbreit aufgezogen, und Wallace steckte vorsichtig die Nase herein. »Alles klar, Mr Sawyer, Sir? Soll ich den Sheriff rufen?«
    Sid schüttelte den Kopf, ohne Wallace anzusehen. Er hob die Hand und winkte ab. »Nein, Wallace, schon gut. Es war ein Unfall. Mein Bruder, er … Es war ein Unfall. Lassen Sie uns bitte allein.«
    Wallace schien nicht recht überzeugt zu sein. Dennoch schloss er die Tür wieder, und seine Schritte entfernten sich.
    Tom richtete den Colt auf seinen Bruder. »Letzte Chance, Sid. Nutze sie.«
    Sid schloss die Augen und vergrub das Gesicht in den Händen. Seine Stimme drang erstickt zu Tom. »Ich … ich weiß nicht, was ich sagen soll. Es … es ist einfach so passiert. Sie war so …« Er wedelte mit der Hand, suchte nach dem richtigen Wort. »So reif.«
    Tom schlug so heftig mit der flachen Hand auf den Tisch, wo die Dokumente und Verträge lagen, dass ein paar Blätter zu Boden segelten. »Sie ist ein gottverdammtes Schulmädchen, Sid! Was zum Teufel hast du dir eigentlich dabei gedacht? Ich sollte dich auf der Stelle erschießen! Hast du auch nur ein einziges Mal an Becky gedacht, als du sie gevögelt hast?«
    Sid öffnete die Augen, sie waren gerötet, der Zorn flackerte darin, und er spie die Worte förmlich aus. »An Rebecca? Ja, ich denke die ganze Zeit an Rebecca! Ich denke morgens an sie, wenn ich zur Arbeit gehe, ich denke an Rebecca, wenn ich ins Bett gehe. Ich liebe sie, verstehst du? Ich würde alles für sie tun. Und sie? Das mit uns geht schon seit Monaten, Tom, und es ist nie über einen harmlosen Kuss hinausgegangen. Du musst das verstehen, du bist doch ein Mann! Sie hat mich nicht rangelassen; es gab nicht mehr als einen verdammten harmlosen Kuss auf die Wange oder auf die Stirn oder vielleicht mal auf den Mund. Mehr nicht. Und da gehe ich in Lucius’ Laden, und Lucius ist nicht da, und Sally, die immer um mich herumscharwenzelt wie so ein kleiner Schmetterling, hat so ein geblümtes Kleid an und bittet mich, sie festzuhalten, weil sie auf die Leiter steigen muss, um ganz oben an das Regal zu kommen, und dann, dann …«
    »Dann hast du sie festgehalten?«, half Tom nach.
    Sid blickte auf, als hätte er Tom schon fast vergessen. Seine Stimme wurde leise und fast sanft. »Ja. Dann hab ich sie festgehalten. Sie hat so getan, als würde sie ausrutschen, und ich habe sie festgehalten. Und dann war sie in meinem Arm, und ich

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