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Der Mann, der niemals schlief: Ein Tom-Sawyer-Roman

Der Mann, der niemals schlief: Ein Tom-Sawyer-Roman

Titel: Der Mann, der niemals schlief: Ein Tom-Sawyer-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon X. Rost
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Redaktion des St. Petersburg Chronicle , hörte man sie jedenfalls nicht.
    »Nun …« Der hochgewachsene Mann mit der markanten Nase, der Tom und Sid gegenüber in einem reich verzierten, schwarz lackierten Sessel thronte, lehnte sich zurück und verschränkte die Arme über der zweireihigen, gelb karierten Seidenweste.
    »Schade, dass du uns schon wieder verlassen willst, Thomas. Ich kann verstehen, dass du nicht dabei sein willst, wenn man Huck Finn fasst und ihm den Prozess macht. Aber wir könnten Männer wir dich hier gut gebrauchen. Mit St. Petersburg geht es aufwärts, seit die Yankee-Truppen abgezogen sind. Langsam, aber stetig.«
    Thatcher streckte die Hand aus und beschrieb eine aufsteigende Kurve über der Schreibtischplatte. »Wenn eines Tages die Eisenbahnbrücke über den Mississippi kommt, dann wird St. Petersburg eine richtige Stadt werden. So wie Springfield, vielleicht sogar wie St. Louis.«
    »Dabei wünsche ich viel Erfolg, Mr Thatcher.« Tom lächelte freudlos. »Aber St. Petersburg hat es bis hierher ohne mich geschafft. Ich schätze, Sie schaffen’s auch weiter ohne mich.«
    Richter Thatchers Hand verharrte in der Luft, dann machte er eine abwägende Geste, als ob das eben keineswegs so klar wäre. »Wichtige Entscheidungen müssen getroffen werden, Tom. Und dafür braucht es Männer mit Mut und Weitsicht. Männer, die einen guten Draht nach Washington haben. So wie du. Als Rebecca bei ihrem Pressehändler das Foto von dir mit Pinkerton und Lincoln auf dem Schlachtfeld von Antietam entdeckt hat, wollte sie es zunächst gar nicht glauben. Aber sie hat so lange bei den Korrespondenten in der Hauptstadt nachgebohrt, bis sie es sicher wusste, und dann hat sie es jedem in St. Petersburg erzählt. Ob die Leute es hören wollten oder nicht, stimmt’s, Sidney?« Thatcher lachte trocken auf.
    Auf einmal wusste Tom, wer hinter diesem »Was man sich so erzählt« steckte. Warum nur hatte Becky es jedem erzählt? War sie etwa stolz auf ihn gewesen?
    Sid blickte von dem Dokument auf, das ihn zum Erben von Tante Pollys Nachlass machen würde. Ein säuerliches Lächeln spielte um seine Lippen. »Ja, sie fand das wohl ziemlich … erstaunlich. Wir alle fanden es ziemlich erstaunlich, Tom.«
    Dass man einen Nichtsnutz wie mich in die Nähe des Präsidenten gelassen hat, meinst du wohl, dachte Tom, er sagte es aber nicht.
    »Es ist alles in Ordnung, Sir.« Sid griff nach der Schreibfeder und setzte seinen Namen unter das Dokument. Ohne aufzusehen, reichte er Tom die Schreibfeder weiter. Als Tom sie nicht nahm, blickte Sid auf. Er biss sich auf die Lippen. »Sorry, Tom. Ich will dich nicht drängen. Das Ganze war zwar deine Idee, aber sicher brauchst du noch etwas Zeit zum Nachdenken. Vielleicht willst du auch eine Nacht darüber schlafen. Und wenn du Geld brauchst, für einen Neuanfang oder so … Wir können dir jederzeit etwas leihen.«
    Wir? Tom grübelte, ob Sid damit sich und Becky meinte oder sich und den Richter oder aber die Bank, für die er arbeitete.
    Tom nahm die Feder und wies mit dem Kinn auf das Schriftstück. »Um wie viel geht’s überhaupt? Was schenke ich dir da, Sid?«
    »Mir und Mary. Vergiss das nicht. Unsere Schwester wird ihren Anteil bekommen, sobald sie wieder reisen kann, nicht wahr, Sir?«
    Tom hatte von Sid erfahren, dass ihre Schwester Mary, die flussabwärts in Cape Girardeau lebte, in den Wehen lag und deswegen auch bei der Beerdigung nicht anwesend sein konnte. Richter Thatcher nickte. »Ich kümmere mich darum, Tom. Versprochen. Aber Sid würde niemals jemanden hintergehen, stimmt’s, Sid?«
    Erstaunt fing Tom einen schnellen, scharfen Blick auf, den Sid Richter Thatcher zuwarf, als hätte in dessen Frage eine kleine Drohung gelegen. Sein Halbbruder räusperte sich. »Niemals, Sir. Und was deine Frage angeht, Tom, so hat unsere Tante keine Reichtümer besessen, wie du dir denken kannst. Das Haus in der Hooper Street, den kleinen verwilderten Gemüsegarten am Fuße des Cardiff Hill, und auf unserer Bank hatte sie ein Konto mit fünfundsiebzig Dollar. Mehr ist da nicht.«
    »Fünfundsiebzig Dollar?«, fragte Tom ungläubig. »Mehr nicht? Wovon hat sie überhaupt gelebt?«
    »Sie war sparsam, wie alle älteren Frauen hier. Sie hat Decken genäht, die Lucius Austin in seinem Drugstore verkauft hat, und sich von den Hühnern hinterm Haus und dem Gemüsegarten ernährt, so Sachen, du weißt schon. Als ich in der Bank angefangen habe, hab ich ihr ab und zu was zugesteckt.

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