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Der Mann, der niemals schlief: Ein Tom-Sawyer-Roman

Der Mann, der niemals schlief: Ein Tom-Sawyer-Roman

Titel: Der Mann, der niemals schlief: Ein Tom-Sawyer-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon X. Rost
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abgenommen, dass er sich nie wieder in St. Petersburg blicken lässt, und die Männer haben ihn aus der Stadt gejagt. Huck ist fast zu allem fähig, wenn du mich fragst. Ob er zu einem Mord fähig ist, weiß ich nicht, aber wenn es in dieser Stadt jemand herausfinden kann, dann du. Joe Harper ist ein netter Kerl, aber der wäre schon froh, wenn er Harbinsons Hund finden würde.«
    Sie krempelte die Ärmel ihres Kleides hoch, drehte Tom den Rücken zu und umfasste mit beiden Händen fest den massiven Hebel der Druckerpresse. »Du hast meine Frage noch nicht beantwortet, Tom. Bleibst du und findest es heraus?«
    Becky zog mit Wucht und ihrem ganzen Körpergewicht am Hebel. Die schweren, gusseisernen Platten sausten aufeinander zu, es gab ein lautes schmatzendes Geräusch, und dann wurden die Bleilettern auf das Papier gepresst. Becky entnahm den bedruckten Bogen und betrachtete zufrieden das Ergebnis. »Was ist los, Tom? Hat’s dir die Sprache ver-«
    Sie wandte sich um.
    »Tom!«
    Der Stuhl, auf dem Tom gesessen hatte, war umgestürzt, der Lärm der Druckerpresse hatte den Sturz offensichtlich übertönt. Blut tropfte aus Tom Sawyers Nase auf eine alte Zeitung. Reglos lag er auf dem Boden ihrer Redaktion.
    ~~~
    Erst war alles dunkel, dann mischten sich Formen und Geräusche dazu, und es wurde hell. Verschwommen nahm er Farben wahr. Und dann die Stimme.
    »Nichts als Ärger, Tom Sawyer, du machst einem nichts als Ärger!« Ein freundliches Lachen ertönte.
    Tom öffnete blinzelnd die Augen und blickte in ein gütiges Gesicht. »Wo … was ist passiert?«
    Über sich sah er blühende Robinien. Tom versuchte, sich aufzurichten, und erkannte, dass er auf einer harten Holzbank in einem Garten vor einem kleinen, weiß gestrichenen Haus lag. In dem Gesicht über ihm zeichneten sich Lachfalten um die wachen graublauen Augen hinter den kreisrunden Brillengläsern ab. Die dunkle Perücke schob sich in eine sonnenverbrannte Stirn. »Du bist umgekippt, Jungchen! Hat Rebecca dir was Unanständiges erzählt, oder was hat dir die Sinne geraubt?«
    Dobbins.
    Der Mann lachte erneut auf und wies mit dem Daumen hinter seinen Rücken, wo Becky mit einem feuchten Lappen in der Hand stand und Tom forschend ansah. Die Besorgnis in ihrem Gesicht wich langsam der Erleichterung, als sie sah, wie Tom sich aufrichtete.
    »Keine Ahnung, ich … Da war die Schlägerei, hab wohl mehr abbekommen, als ich dachte. Außerdem sollte ich mal was essen und –«
    »Und du siehst furchtbar müde aus, Tom«, unterbrach ihn Dobbins. »Du schläfst schlecht, was? Da sollten wir etwas machen, ich sollte da etwas machen. Aber erst mal wollen wir für etwas zu essen sorgen. Hattie!« Toms ehemaliger Lehrer erhob sich und wandte sich zum Haus. »Hattie, bring Mr Sawyer hier etwas von den Bohnen mit Hammelfleisch, die du gekocht hast!«, rief er durch die Tür.
    Dobbins wartete auf eine Antwort, aber es kam nichts. »Hattie?« Er verschwand in dem weiß gestrichenen Gebäude und rief weiter nach seiner Angestellten.
    Als Tom über den windschiefen Lattenzaun blickte, erkannte er die Rückseite seines ehemaligen Schulhauses. Der Lehrer der Dorfschule hatte sein Haus direkt neben seinem Arbeitsplatz.
    »Er ist immer noch der Alte, was?« Becky setzte sich neben Tom und deutete in die Richtung, in die Dobbins verschwunden war. »Er ist jetzt auch unser Arzt in St. Petersburg, seit Doktor Garth sich aus dem Staub gemacht hat. Garth hatte Geld in eine Mine in Kalifornien gesteckt, die nur auf einem Stück Papier existierte, und deswegen wohl Schulden bei einem der Holzbarone, nach allem, was ich rausgefunden habe. Er wollte wohl nicht warten, bis der seinen Eintreiber geschickt hat. Und die Bürger der Stadt warten seit zwei Monaten auf einen Doktor aus St. Louis, der die Praxis von Garth übernehmen soll, aber bis jetzt warten sie vergebens. Du kannst dir nicht vorstellen, wie viele Leserbriefe zu dem Thema ich schon hatte.«
    Tom schüttelte seinen Kopf. »Hast du mich hierhergeschleppt?«
    »Dobbins und ich haben dich auf einem Handkarren hergefahren. Du warst ein bisschen im Weg, da auf dem Boden in der Redaktion, weißt du?«
    Tom nickte. »Danke. Aber ich brauch keinen Arzt. Es geht schon wieder.«
    »Blödsinn, Sawyer! Ich sehe, wann ein Mann einen Arzt braucht und wann nicht!« Dobbins war unbemerkt wieder aus dem Haus gekommen. Er hielt Tom einen Kanten Brot und eine Scheibe Speck hin. »Hier, lass es dir schmecken. Ich hab keine Ahnung, wo Hattie sich

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