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Der Mann, der niemals schlief: Ein Tom-Sawyer-Roman

Der Mann, der niemals schlief: Ein Tom-Sawyer-Roman

Titel: Der Mann, der niemals schlief: Ein Tom-Sawyer-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon X. Rost
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am Morgen, doch Toms Hemd klebte schon am Rücken, so gnadenlos brannte die Sonne herunter.
    Joe Harper lief schweigsam voraus, und Jim Hollis trabte hinter Tom her, die Gwyn & Campbell über die Schulter gelegt, so als wäre Tom ein Gefangener, den es zu eskortieren galt.
    »Ist das deiner? Wie heißt ’n der hässliche Köter?«, zischte Jim zwischen den Zähnen hervor und nickte zu dem Mischling, der zu Toms Leidwesen immer noch neben ihm hertrottete. Die kleine rosa Zunge hing ihm heraus, und er spähte sehnsuchtsvoll zu den vertrockneten Pfützen zwischen den Schilfstauden.
    »Weiß nich’. Vielleicht nenn ich ihn Hollis, weil er immer so treudoof glotzt und jedem hinterherrennt, der mehr in der Rübe hat als er selbst.«
    Joe Harper lachte auf, ohne sich umzudrehen, während Jim ausspuckte und einen unverständlichen Fluch murmelte. Die Luft stank nach Fäulnis, als sie über die losen Bretter am Boden liefen, die eine Art Steg durch den kleinen Sumpf bildeten. Als Joe Harper die eisenbeschlagene Tür öffnete, wurde es noch schlimmer – der Gestank verschlug Tom den Atem.
    In dem Gefängnis roch es beißend nach Urin und nach Erbrochenem, was wohl daran lag, dass Joe hier in der Regel Betrunkene nach Wirtshausschlägereien einsperrte. Der Bau hatte gerade einmal zwei Zellen. Sie lagen links von dem Gang, in dem ein wackliges Tischchen und ein Schemel standen. An den feuchten Backsteinwänden blühte der Schimmel, der Boden war aus gestampftem Lehm.
    Als Jim Hollis die Eingangstür hinter ihnen zuschlug, drang kaum noch Licht und – schlimmer noch – kaum noch Luft in den flachen Bau, und es war fast so heiß wie draußen.
    Tom dachte an die vielen Wochen, die Muff Potter, ein alter Landstreicher, hier gesessen hatte, als der wegen Mordes an Dr. Robinson angeklagt war und auf seinen Prozess wartete. Kein Wunder, dass Potter verzweifelt war. Backstein, Gitter und eine massive Holzdecke – mehr gab es nicht, woran sich das Auge in diesem Vorhof zur Hölle hätte festhalten können.
    Die erste Zelle zur Linken war leer. Bei der hinteren stand die Gittertür auf. Tom stutzte, aber als er die etwa zehn auf zehn Fuß kleine Zelle betrat, wurde ihm klar, warum niemand abgeschlossen hatte: Erstens war Mr Dobbins darin. Zweitens hätte Huck niemals weglaufen können.
    Huck lag regungslos auf einer Holzpritsche, die mit Eisenketten an der Wand befestigt war. Er war blass, unnatürlich blass, sein Gesicht kalkweiß mit einem Stich ins Gelbe, und die Lippen in dem struppigen Bart waren bläulich verfärbt. Das verfilzte Haar hing ihm ins Gesicht; zahllose Abschürfungen überzogen die Wangen, und an der Stirn klaffte eine große Platzwunde, wo er mit dem Gesicht auf dem Boden des Schlachthauses aufgeschlagen war. Dobbins hatte Hucks Oberkörper entblößt, getrocknetes Blut färbte Bauch und Brust. Eine dunkelrot und gelb verschmierte Baumwollkompresse lag über dem Einschussloch, eine Handbreit neben dem Bauchnabel.
    Tom schluckte.
    War Huck tot? Erschrocken blickte er zu Dobbins, der gerade sein elfenbeinfarbenes Hörrohr von Hucks Brust löste, als Tom mit Joe Harper und Jim Hollis die Zelle betrat. Dann lief ein heftiges Zittern durch Hucks Körper, und Tom seufzte erleichtert auf.
    Dobbins nickte den Männern zu und wischte sich mit einem Taschentuch den Schweiß aus dem Nacken. »Sheriff. Tom.«
    Harper lehnte sich gegen die Backsteinwand und verschränkte die Arme. »Bitte, Tom. Du wolltest ihn sehen? Hier ist er.«
    Tom trat an Hucks Pritsche und setzte sich auf die Kante. Huck war nicht bei Bewusstsein, er schwitzte, und wieder lief ein Zittern durch seinen Körper. »Was ist mit ihm, Mr Dobbins? Wird er’s schaffen?«
    Der Mischlingshund kam hinter den Männern in die Zelle getrottet. Als würde er die gedrückte Stimmung spüren, winselte er leise und legte Tom die Schnauze auf das Knie.
    »Tut mir leid, Tom, aber es sieht nicht gut aus. Die Kugel hat zwar wenig Schaden in der Bauchhöhle angerichtet, wie’s aussieht, aber das Mistding ist nicht rausgekommen. Es steckt noch drin, vermutlich dicht am Rückgrat. Ich kann das nicht. Operieren, meine ich. Ich hab ihn verbunden und ihm etwas gegeben, was das Fieber senken soll, aber das wird nicht reichen. Wenn die Kugel nicht entfernt wird, wird Huck sterben.«
    »Oh, wie schade.« Jim Hollis verzog den Mund in gespielter Trauer.
    Joe Harper versetze ihm einen Hieb auf den Arm. »Lass das, Jim. Das gehört sich nicht. Nicht einmal bei Huck Finn.«
    Tom

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