Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Mann, der niemals schlief: Ein Tom-Sawyer-Roman

Der Mann, der niemals schlief: Ein Tom-Sawyer-Roman

Titel: Der Mann, der niemals schlief: Ein Tom-Sawyer-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon X. Rost
Vom Netzwerk:
biss sich auf die Lippen und schloss für einen Moment die Augen. Als er sie wieder öffnete, sah er, wie Dobbins das Hörrohr in seiner Tasche verstaute und aufstand. »Tja, Herrschaften, ich bin hier ganz eindeutig mit meinem Latein am Ende. Sieht so aus, als müsste man einen Arzt aus St. Louis oder aus Springfield kommen lassen. Sie werden das sicher veranlassen. Ich muss jetzt leider wieder zu meiner Schulklasse, bin sowieso schon spät dran, und gegessen habe ich auch noch nichts. Hattie hat vergessen, mir Frühstück zu machen. Ich hab keine Ahnung, wo das Mädel sich schon wieder rumtreibt. Falls Sie sie sehen sollten, Sheriff …« Anstatt den Satz zu beenden, wedelte Dobbins unbestimmt mit der Hand.
    Joe Harper brummte zustimmend. »Mhnja, gern, Mr Dobbins, Sir. Ich zieh ihr die Ohren lang, wenn ich sie treffe. Und vielen Dank für Ihre Hilfe hier. Ich werd dem Telegrafisten Bescheid geben. Wir fragen in Palmyra und St. Louis an, ob ein Arzt abkömmlich ist, aber ich rechne damit, dass es ein paar Tage dauern wird, und dann hat sich die Sache bedauerlicherweise vielleicht schon von selbst erledigt.«
    Joe Harper warf einen kurzen Seitenblick auf Huck. Dann breitete er die Arme aus und wies mit den Händen zu der niedrigen Zellendecke. »War’s das, Tom? Können wir gehen?«
    Tom schwieg. In seinem Bauch rumorte es, und ihm war schwindelig. Was hätte er jetzt gegeben für eine Tasse von Beckys Kaffee.
    Harper legte Tom eine Hand auf die Schulter. »Hör zu, Tom. Wir alle können verstehen, dass das nicht einfach ist. Pollys Tod und Huck als Mörder und so. Und ich bin mir sicher, du wolltest ihn nicht erschießen, und genauso hab ich das auch dem Richter erklärt. Aber wir müssen jetzt weitermachen. Wir alle. Jim und ich müssen uns um ein verschwundenes Floß kümmern, und Mr Dobbins hier … Na ja, du hast gehört, was er gesagt hat. Und auch du solltest jetzt weitermachen … Also, mit was auch immer du machen wolltest.«
    Tom erhob sich langsam. Er nickte.
    In Joe Harpers besorgtem Gesicht erschien ein zaghaftes Lächeln. »In Ordnung, Tom? Dann gehen wir, ja?«
    Jim Hollis holte den schweren Schlüsselbund aus seiner Tasche und ging zur Zellentür, um sie abzuschließen. Der Doktor setzte seinen Hut auf und war schon im Flur vor den Zellen, als Tom schließlich antwortete.
    »Nein.«
    Die Männer blieben stehen. Auf Joe Harpers Stirn erschien eine tiefe Falte, und er schüttelte den Kopf. »Nein?«
    Tom schüttelte ebenfalls den Kopf. »Nein, Joe. Es ist nicht in Ordnung. Wir werden Huck nicht in diesem Loch verrecken lassen, damit sich das Problem von alleine löst. Hier …« Er wühlte in seinen Taschen und zog neben einem Stück Schnur, dem Taschenmesser und dem Talisman mit dem heiligen Christophorus einen Silberdollar heraus. Den drückte er Joe Harper in die Hand. »Damit werdet ihr ihm etwas Anständiges zu essen und zu trinken besorgen, sobald er essen kann. Eine Lampe und eine Decke sollten dafür auch noch drin sein; Huck hat Fieber, und er friert. Und ich will, dass jemand frisches Stroh in dieses Drecksloch bringt und es auf dem Boden verteilt, damit der Doktor nicht in die Scheiße tritt, wenn er ihn untersucht. Und Sie, Mr Dobbins …«
    »Ich?« Dobbins kam zaghaft ein paar Schritte zur Zelle zurück und sah Tom überrascht an.
    »Sie werden bitte so oft nach Huck sehen, wie es Ihre Zeit zulässt, und versuchen, ihn am Leben zu halten, bis der Doktor eintrifft. Ich werde Sie für alle Ihre Mühen und Ausgaben bezahlen.«
    Dobbins nickte ergeben und sah dann fragend zu Joe.
    Das Lächeln des Sheriffs war versteinert. Er trat an Tom heran, pustete gegen seinen Schnurrbart und legte den Kopf schräg. »Was soll das werden, Tom? Was hast du vor?«
    »Ich will, dass Huck lange genug lebt, um mir zu sagen, was im Haus meiner Tante passiert ist. Ich glaube nicht, dass er sie umgebracht hat, und ich will verdammt sein, wenn ich nicht herausfinde, wer es wirklich war.«
    Joe Harper lief rot an. »Wer es wirklich war? Wer es wirklich war? Ja, glaubst du denn, wir sind Volltrottel, Tom? Glaubst du, wir sind eine Bande von verblödeten Hinterwäldlern hier in St. Petersburg, und der ach so schlaue und großartige Tom Sawyer, der im fernen Washington im Dienste des Präsidenten war, muss uns erst zeigen, wie man einen Mordfall aufklärt? Glaubst du das? Hä?«
    Dobbins war zusammengezuckt, als der Sheriff zu brüllen begann, aber Tom blinzelte nicht und wich nicht zurück. Er sprach leise

Weitere Kostenlose Bücher