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Der Mann, der niemals schlief: Ein Tom-Sawyer-Roman

Der Mann, der niemals schlief: Ein Tom-Sawyer-Roman

Titel: Der Mann, der niemals schlief: Ein Tom-Sawyer-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon X. Rost
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Vielleicht werde ich ja der nächste Sheriff in St. Petersburg, hm? Schließlich habe ja ich Huck Finn zur Strecke gebracht und nicht du , wenn man es genau nimmt, oder? Das hast du zumindest allen so erzählt, nicht, Joe?«
    Harper glotzte Tom fassungslos an.
    Tom beugte sich vor und flüsterte in Joes Ohr: »Also sieh besser zu, dass der einzige Mann, der das Gegenteil behaupten könnte, nicht stirbt, Joe.«
    ~~~
    Wie konnte man nur so bescheuert sein? Was war nur in ihn gefahren?
    Tom stapfte an den letzten Häusern von St. Petersburg vorbei über eine staubige Straße, die sich landeinwärts weg vom Mississippi ins Hinterland schob.
    Hier, am Rand der kleinen Stadt, gab es nur noch ein paar windschiefe Hütten und verfallene Scheunen und zahllose Schweinepferche, weit weg von den soliden Backsteinhäusern der vornehmen Bürger in der Bird und der Main Street.
    Warum habe ich das getan?, fragte Tom sich immer wieder, seit er das Gefängnis verlassen hatte. Um einen großen Auftritt zu haben? Nur um ein bisschen Dampf abzulassen? War es das wert, dass er Joe Harper nun zum Gegner haben würde? Oder spielte er tatsächlich mit dem aberwitzigen Gedanken, als Sheriff zu kandidieren?
    »Was für ein Schwachsinn, Hollis! Der Einzige, der mich wählen würde, wärst vermutlich du!«
    Wütend kickte Tom einen Stein weg. Der Mischlingsrüde, der Tom folgte, seit sie das Gefängnis verlassen hatten, zuckte zusammen. Dann kehrte er jedoch an Toms Seite zurück und schmiegte sich im Laufen an Toms Beine. Tom seufzte.
    Ein mit Schilf zugewuchertes Bächlein schlängelte sich träge neben der Straße, Eidechsen raschelten im Gebüsch, auf der Suche nach Käfern und Mücken. Die Straße wurde zu einem Hohlweg und stieg sanft an. Auf der vor ihm liegenden Hügelkuppe erblickte Tom eine Ansammlung von armseligen Hütten, und eine Horde von schwarzen Kindern in zerlumpten Kleidern rannte an ihm vorbei. Die Kinder trieben mit Ruten ein Ferkel vor sich her. Sie hatten dem Tier einen alten, löchrigen Hut auf dem Kopf festgebunden und kreischten vor Vergnügen. Tom blieb stehen und wischte sich den Schweiß aus dem Nacken. Er würde sich im Mietstall der Stadt ein Pferd besorgen müssen.
    Er war zwar kein guter Reiter, aber zu Fuß zu gehen war eines Mannes nicht würdig und außerdem zu anstrengend. Ihm war schwindelig vor Hitze, er hatte immer noch nichts gegessen, und der mangelnde Schlaf tat ein Übriges.
    Er beugte sich zu Hollis hinunter und kraulte ihm den Nacken. »Was willst du von mir, Kleiner, hm? Ich bin kein guter Beschützer, da kannst du jeden fragen.«
    Hollis schien nichts auf Toms Gerede zu geben. Er drückte seine feuchte Schnauze gegen Toms Knie und schloss die Augen.
    »Tom!«
    Tom wandte sich um und beschirmte die Augen gegen die Sonne. Eine schmale Gestalt schob sich auf der Straße auf ihn zu. Staubbedeckte Stiefel unter einem gerafften Glockenrock.
    »Warte, ich muss mit dir reden!«
    Tom stand auf. Beckys Wangen waren gerötet, aber trotz des schweren smaragdgrünen Seidenkleides schien sie kein bisschen zu schwitzen. Wie machte sie das nur?
    »Hast du einen Freund gefunden?« Becky lächelte und nickte zu Hollis, der winselnd zu Toms Füßen saß.
    Tom zuckte mit den Schultern. »Mein einziger. Nachdem ich Huck erschossen habe.«
    Beckys Miene verfinsterte sich. »Was ist gestern im Schlachthof passiert? Hast du wirklich mit Absicht auf Huck geschossen?«
    Tom wandte sich ab und ging weiter den Hügel hinauf. In einer Senke zu ihrer Rechten lag ein Sägewerk. Von den niedrigen Hütten am Horizont kräuselten sich Rauchfahnen zum Himmel, und Fetzen einer Mundharmonikamelodie drangen an Toms Ohr. »Das sagt zumindest der Sheriff. Und das wirst du auch in deiner Zeitung schreiben, oder nicht?«
    Becky raffte ihren Rock und hastete hinter Tom her. »Der St. Petersburg Chronicle schreibt nur die Wahrheit, und dabei verlasse ich mich nicht auf nur eine Quelle. Joes Geschichte kenne ich jetzt. Erzählst du mir deine?«
    Tom ging weiter, ohne sich zu Becky umzudrehen. »Meine ist ganz einfach und nicht so spektakulär wie die von Joe, aber du wirst sie wahrscheinlich eh nicht glauben.«
    Becky hatte Tom eingeholt und knöpfte ihr Kleid am Kragen auf.
    Tom blieb für einen Moment verwirrt stehen, dann sah er, dass Becky ihr kleines Notizbuch und einen Stift aus dem Dekolleté hervorzog.
    »Vielleicht versuchst du’s einfach mal? Außerdem hab ich Gerüchte gehört, dass du für den Posten des Sheriffs kandidieren

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