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Der Mann, der niemals schlief: Ein Tom-Sawyer-Roman

Der Mann, der niemals schlief: Ein Tom-Sawyer-Roman

Titel: Der Mann, der niemals schlief: Ein Tom-Sawyer-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon X. Rost
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und seinem Koffer in der anderen durch die staubigen Straßen von St. Petersburg geeilt, während die untergehende Sonne die Häuserfronten in der Hooper Street in schimmerndes Rot tauchte.
    Unterwegs hatte er Dale und Jeb mit einer Flasche Schnaps im Schatten einer Eibe herumlungern sehen. Er war ihnen ausgewichen und in einer Menge untergetaucht, die Saul Jones, dem Sohn des Walisers, bei einer Rede zuhörte, die dieser vor seinem Postamt hielt. Jones bewarb sich ebenfalls um den Posten des Sheriffs, und Tom hatte zwischen den Zuhörern gestanden, bis er sicher war, dass Dale und Jeb ihn nicht entdeckt hatten. Als er mit seinem unter den Arm geklemmten Koffer und den Tellern in der Hand schließlich mehr Aufmerksamkeit auf sich zog als Saul Jones, schob Tom sich durch die Menge und trat den Weg in die Hooper Street an. Die Steaks waren fast kalt, als Tom sie endlich auf Pollys altem Küchentisch abstellte.
    Jetzt waren sie endgültig kalt.
    Sie saßen zu dritt um den Tisch in der Stube und kauten zähes, kaltes Steak.
    Auf dem Tisch vor ihm lag ein Umschlag mit der aufgedruckten Adresse von Richter Thatcher. Tom nahm an, dass sich darin das Dokument befand, das er gestern um diese Zeit beim Richter hatte unterschreiben wollen, aber dann doch nicht unterschrieben hatte. Er nahm es an, weil Sid nicht darüber gesprochen hatte. Sid sprach gar nicht.
    Er hatte noch nichts gesagt, seit Tom durch die Hintertür ins Wohnzimmer gekommen war, den Arm abspreizte, um den Koffer zu Boden fallen zu lassen, und dann die Teller mit den Steaks und den Bohnen auf den Tisch abstellte, während Hollis fröhlich um Toms Beine schwänzelte.
    »Hallo, Sid!«, hatte Tom gesagt, und Sid hatte ihm nicht geantwortet. Sid hatte nicht gesagt: »Willkommen«, oder: »Schön, dich zu sehen, Tom«, oder: »Danke für die Einladung zum Essen.«
    Toms Halbbruder hatte den Koffer und den Hund gemustert, als seien es große unförmige Insekten, die in sein Haus gekrabbelt waren. Dann legte er wortlos den Umschlag auf den Tisch, zog sich einen Stuhl heran, setzte sich und nahm sich einen der Teller.
    Becky, die an der Spüle stand und einen Eistee vorbereitete, hatte die eisige Stimmung bemerkt, die sich in der Stube ausgebreitet hatte, und das Reden übernommen. Sie erkundigte sich nach Huck, und Tom erzählte ihr von der Operation. Seine unrühmliche Entlassung durch Cooper ließ er aus, umschrieb den Vorgang, so als wäre er mit Cooper übereingekommen, dass es das Beste war, Mr Dobbins hinzuzuziehen, als sie feststellten, dass die Kugel in Hucks Bauch sich hartnäckig verbarg.
    Nach dem Gespräch mit Will Tanner bei der Schule, das Tom keine neuen Erkenntnisse brachte, hatte es Tom nicht länger ausgehalten und die Kinder nach Hause geschickt. Er war zum Gefängnis geeilt und kam genau in dem Moment, als Mr Dobbins sich bereits die blutigen Hände wusch und Doktor Cooper die letzten Stiche nähte, die Hucks Bauchwunde verschlossen.
    In einem kleinen Blechnapf auf dem Boden lag die Kugel. Tom bekam weiche Knie vor Erleichterung, als er sie sah. Klein, stumpfes Grau mit Blut verschmiert und absolut tödlich im Körper eines jeden. Nicht Abraham Lincoln, sondern Samuel Colt hatte die Leute gleich gemacht, sagte man, und das stimmte.
    Cooper hatte erschöpft zu der Kugel hingenickt, während er den Faden an Hucks Wunde abschnitt. »Sie hat die Leber gestreift, und ich musste einen Teil davon entfernen, aber das wird verheilen … vielleicht. Das Mistding hatte sich hinter der Bauchspeicheldrüse versteckt, und ich musste eine gute halbe Stunde danach suchen. Die Kugel ist wohl am Querfortsatz eines Lendenwirbels hängen geblieben. Ihr Huck hat mächtig Glück gehabt! Zumindest die Operation hat er überlebt.«
    Als sich ein Lächeln auf Toms Gesicht ausbreitete, hob Cooper abwehrend die Hand. »Freuen Sie sich nicht zu früh, Mr Sawyer. Er hat sehr viel Blut verloren, und die Kugel hat natürlich zu einer Infektion geführt. Das Blei vergiftet den Körper, und dass die Leber verletzt wurde, kommt noch erschwerend hinzu. Beten Sie für ihn. Vielleicht schafft er’s, vielleicht nicht.«
    Als das Lächeln wieder aus Toms Gesicht verschwand, war Dobbins neben ihn getreten, hatte mit dem Kinn zu Cooper genickt und anerkennend das Kinn vorgeschoben, während er sich die blutverschmierte Schürze abband.
    »Der Doktor hier versteht sein Geschäft, Tom. Und Huck ist doch unverwüstlich. Es wird schon gutgehen.«
    Tom hatte sich bei beiden herzlich bedankt

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