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Der Mann, der niemals schlief: Ein Tom-Sawyer-Roman

Der Mann, der niemals schlief: Ein Tom-Sawyer-Roman

Titel: Der Mann, der niemals schlief: Ein Tom-Sawyer-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon X. Rost
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Zeigefinger gegen Toms Brust. »Besser, das stimmt, Bürschchen, oder du steckst kopfüber in der Scheiße, hörst du?«
    Tom nickte und hob die Hände, als könnte er kein Wässerchen trüben. »Klar, Joe, meinst du, ich lüg dich an? Dann verrat du mir aber auch etwas.« Harper blickte auf, in seinen Augen lagen unverhohlen Abscheu und Wut.
    »Was?«
    »Wo hast du Jeb gefunden?«
    »Das war nicht ich. War ein Gleisarbeiter. In Ripleys Schweinepferch am Gleisdreieck. Schätze, die Schweine sollten den Rest erledigen, aber dazu kam es nicht, weil Ripley die Viecher am Abend zuvor gemästet hat wie nichts Gutes. Die ham Jeb einfach links liegen lassen. Warum willst du das wissen?«
    Tom lächelte so süß, wie es ihm möglich war. »Weil du immer ganz genau wissen willst, wo ich bin, Joe, schon vergessen?«
    Harper machte einen Schritt nach vorn, sodass seine Nase fast an die von Tom stieß. Er packte Tom am Kragen und zischte: »Wag es ja nicht, Tom. Komm mir nicht blöd, sonst werd ich dir den Schädel –«
    »Ja, Sheriff. Eingeschlagene Schädel!« Becky tippte auf ihr Notizbuch. »Ich schreibe gerade einen Artikel darüber, und die Leser meiner Zeitung brennen darauf, zu erfahren, welcher der Kandidaten für das Sheriffsamt wohl besser geeignet ist. Welcher der Gentlemen ist ein besonnener Hüter von Gesetz und Ordnung, und welcher wird sich als stumpfer Schläger erweisen, der sich der gleichen Gewalt bedient, vor der er die Bürger der Stadt eigentlich schützen sollte? Möchten Sie meinen Lesern dazu etwas sagen, Sheriff Harper?«
    Joe hielt inne und starrte Becky zuerst überrascht und dann offen feindselig an. Er kaute auf der Innenseite seiner Backe, schließlich ließ er Toms Kragen los und wischte ihm über das Jackett, als wollte er es glatt streichen. »Tut mir leid, Tom.«
    Tom atmete tief durch. »Wir waren mal Freunde, Joe. Weißt du noch?«
    Harper nickte. »Ja. Das waren wir mal. Vor langer Zeit.«
    Die Männer maßen sich schweigend mit dem Blick, als Becky Tom anstupste. »Es gibt jemanden in der Stadt, der dich sehen will, Tom. Dringend. Und du willst ihn auch sehen, da bin ich mir ganz sicher.«
    ~~~
    »Lass das, Kleiner! Hör auf damit, du wirst sie noch zerfetzen!«
    Tom lachte lauthals, und Hollis hörte an seiner Stimme, dass der Tadel nicht ernst gemeint war. Immer wieder sprang der Hund an Toms Hosenbeinen hoch und leckte Tom über die Hände und über das Gesicht, während Tom ihn kraulte und gleichzeitig versuchte, Hollis’ Zähne von seinen Hosenaufschlägen fernzuhalten.
    »Er humpelt. Genau wie du. Ich schätze, ihr zwei seid euch ziemlich ähnlich.«
    Becky sah grinsend auf Tom hinunter, der vor ihr kniete und mit dem Hund spielte.
    Tom strahlte. »Wo hast du ihn gefunden? Beim Gefängnis?«
    Becky schüttelte den Kopf. »Er lag vorgestern Morgen im Stroh in unserem Stall. Irgendwie hat er sich wohl daran erinnert, dass es da mal einen Knochen für ihn gab, und er hat sich dahin geschleppt. Zwei Tage lag er rum und hat sich von mir füttern lassen. Seit gestern läuft er wieder.«
    »Schlaues Kerlchen. Hast du gut gemacht!«
    Tom drückte seine Stirn gegen die von Hollis, und es war ihm egal, dass der Hund ihm mit der rauen feuchten Zunge über das Gesicht fuhr. Doch dann traten zwei schwarz polierte Lederstiefeletten in sein Gesichtsfeld, und Tom blickte auf.
    »Miss Thatcher. Mr Sawyer?«
    Der Stationsvorsteher war ein distinguierter Mann Anfang fünfzig mit einem quadratischen grauen Schnurrbart, der genauso breit war wie seine Nase. Louis Hayward trug eine blitzsaubere blaue Uniform mit roten Streifen, an deren Gürtel ein beeindruckender Schlüsselbund hing. Die wachen Augen unter der Mütze blickten ungehalten auf den Mann hinab, der sich von einer Promenadenmischung ablecken ließ, und Hayward schien darum bemüht, bei diesem Anblick Haltung zu bewahren.
    Becky gab ihm die Hand. »Vielen Dank, dass Sie uns empfangen, Sir.«
    Sie standen im erst vor wenigen Wochen fertiggestellten Bahnhofsgebäude von St. Petersburg. Bevor das eindrucksvolle Gebäude zwei Blocks südlich des Broadway errichtet worden war, mussten die Fahrgäste in der Lobby von »Kettering’s Hotel« in der südlichen Main Street auf den Zug warten. Wenn der Zug einfuhr, war man einfach über die Straße gelaufen und die vier Stufen zu einer schlichten Holzplattform hinaufgestiegen, um einzusteigen.
    Hayward hatte in der Lobby des Hotels in einem kleinen Verschlag gesessen, von wo aus er Fahrkarten

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