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Der Mann, der niemals schlief: Ein Tom-Sawyer-Roman

Der Mann, der niemals schlief: Ein Tom-Sawyer-Roman

Titel: Der Mann, der niemals schlief: Ein Tom-Sawyer-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon X. Rost
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entfuhr es Tom.
    »Das kann man wohl sagen. Hast ihn wohl etwas zu hart angefasst, was, Tom?«
    »Hör auf, Joe! Ich hab ihn nicht umgebracht!«
    »Vielleicht wolltest du es ja nicht, aber dann ist es doch passiert?«
    Tom zwang sich, das zertrümmerte Gesicht genauer zu betrachten. Wo einmal Jebs Nase gewesen war, war nur noch ein Brei aus getrocknetem Blut, aus Zähnen und Knorpel. Die Augen waren in die Höhlen gedrückt und verschwammen mit dem Rest der zähen Masse. Doch an den Rändern der Wunde, am Jochbein, am Kinn und an der Stirn entdeckte Tom seltsam regelmäßige Vertiefungen, dort, wo die Waffe immer und immer wieder auf den Kopf geschlagen worden war.
    Kantige Vertiefungen.
    »Tom? Wo warst du die letzten zwei Tage? Und warum bist du weggelaufen?«
    »Hast du das gesehen?« Er deutete auf die eckigen Vertiefungen, doch Joe ging nicht darauf ein.
    »Hast du meine Frage gehört? Du hast mit diesem Mann gestritten. Er hat dich einen Niggerfreund genannt und Scheißer, das hab ich selber gehört. Ihr habt euch in Harolds Kneipe geprügelt.«
    »Das war nicht Jeb. Ich hab mich mit Dale geprügelt. Und jetzt hör endlich auf damit, Joe! Hast du den Hammer gefunden?«
    Für einen kurzen Moment schien es, als hätte Tom Joe Harper aus der Fassung gebracht. Der Sheriff blinzelte und sah Tom an, als sei der nicht ganz bei Verstand.
    »Was für einen Hammer? Wovon zum Teufel redest du?«
    »Davon.« Tom deutete auf die Einkerbungen auf dem, was von Jebs Gesicht noch übrig war.
    Becky trat näher an die Leiche heran. Sie nahm ihr Notizbuch hoch, wie zum Schutz vor dem Gestank. Ihre Wangen waren bleich geworden.
    Tom tippte auf die Stirn und auf das Jochbein des Toten. »Hier. Und hier auch. Siehst du das, Joe? Diese Ecken? Und hier am Kinn ist auch eine. Das war kein Stein und auch kein Gewehrschaft. Das war ein Hammer.«
    »Scheiße. Wer macht denn so was?« Joe Harper schluckte und blickte Tom erschrocken an.
    »Ich nicht. Ich hab gar keinen Hammer, Joe.«
    Tom lächelte schief, aber der Sheriff verzog keine Miene. Tom nahm die kalte ledrige Hand des Toten und untersuchte die Handgelenke. Dünne blaurote Furchen zogen sich um Jebs kalkweißes Handgelenk wie ein verblichenes Armband. »Man hat ihn gefesselt. Und dann mit einem Hammer zugeschlagen.«
    Becky entfuhr ein leises Stöhnen.
    Tom berührte sie am Arm. »Du musst das nicht sehen, Becky. Tu dir das nicht an.«
    Beckys Stirn legte sich in Falten und sie straffte sich. »Oh doch. Ich muss das sehen. Meine Leser wollen das wissen, ob mir das nun Spaß macht oder nicht.« Dann kritzelte sie etwas in ihr Notizbuch und blickte ihn streitlustig an. »Gefesselt und ein Hammer. Sonst noch etwas?«
    Tom hielt ihrem Blick stand, sagte aber nichts. Der alte Gehilfe des Bestatters pulte mit dem langen Fingernagel am kleinen Finger seiner linken Hand zwischen seinen Zähnen herum. Nathaniel, sein junger Chef, der offensichtlich versuchte, ein würdevolles Bild abzugeben, gab ihm einen Klaps auf den Hinterkopf, und der Alte ließ die Hand sinken. Tom trat an die Seitenwand des Karrens, verscheuchte mit der Hand ein paar Fliegen und schnüffelte an der Kleidung des Toten. Dann griff er unter Jebs Kopf und hob ihn ein Stück hoch.
    Joe Harper sog zischend Luft ein. »Was machst du da, verdammt noch mal?«
    Tom kniete sich hin. Mit der anderen Hand schob er ein paar fettige blonde Strähnen von Jeb zur Seite und begutachtete den Schädel von unten. »Sein Hinterkopf ist unversehrt. Keine Verletzung. Er lag also nicht auf dem Boden, als man ihm das Gesicht zertrümmert hat, sonst wären durch die Wucht der Schläge auch dort Blut und eine Wunde. Jeb saß oder stand gefesselt vor seinem Mörder, als der ihn mit einem Hammer fertiggemacht hat.«
    Joe nickte, aber dann verengte er die Augen zu Schlitzen. »Du weißt ziemlich viel darüber, wie es passiert ist, Tom. Und du hast mir immer noch nicht gesagt, wo du die letzten zwei Tage gewesen bist. Du humpelst.« Joe deutete auf Toms Beule. »Und wo hast du die her? Und komm mir nicht noch mal mit dem Scheiß von wegen ›vom Pferd gefallen‹, hörst du?« Harper verschränkte die Arme vor der Brust.
    Tom seufzte und legte Jebs Kopf sanft wieder auf die Pritsche. Irgendeinen Brocken würde er Harper hinwerfen müssen, so viel stand fest. Tom blickte zu Boden und schob etwas Staub mit seiner Stiefelspitze beiseite. »Also gut, Joe. In der Nacht vor drei Tagen wollte ich noch mal nach Huck sehen.« Und er schilderte, wie zum

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