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Der Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte

Der Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte

Titel: Der Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Sacks
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Genese hat - und auf ein ganz anderes Ziel zusteuert. In beiden Fällen kann es zu totaler Desorientiertheit, zu einer Identitätsverwirrung kommen. Der Korsakow-Patient ist sich dessen jedoch nie bewusst und das ist möglicherweise der Segen die ser Krankheit-, während der Tourette-Patient sein Leiden mit schmerzlicher und letztlich paradoxer Scharfsichtigkeit erkennt, obwohl er nicht in der Lage und auch nicht willens sein mag, etwas dagegen zu unternehmen.
    Denn während die treibende Kraft beim Korsakow-Patienten seine Amnesie, ein Fehlen von etwas ist, wird der Tourette Patient von übersteigerten Impulsen getrieben - Impulsen, deren Schöpfer und zugleich Opfer er ist und die er wohl verabscheuen, aber nicht wegleugnen kann. So ist er, im Gegensatz zum Korsakow-Patienten, zu einer problematisierenden Haltung seiner Krankheit gegenüber genötigt: Er bezwingt sie, er wird von ihr bezwungen, er spielt mit ihr von innerer Zerrissenheit bis zu einem insgeheimen Einverständnis ist alles möglich.
    Da dem Ich des Tourette-Patienten die normalen, schützen den Hemmschwellen, die normalen, organisch festgelegten Grenzen des Selbst fehlen, ist es einem lebenslangen Bombardement ausgesetzt. Der Erkrankte wird überfallen und verleitet von Impulsen, die von innen und von außen an ihn herantreten, Impulse, die organisch und konvulsivisch, aber auch persönlich (oder eher: pseudopersönlich) und zugleich verführerisch sind. Wie soll, wie kann das Ich diesem Bombardement standhalten? Wird die Identität überleben? Kann sie sich angesichts einer solchen Zerstörungskraft, eines solchen Drucks entwickeln - oder wird sie unterliegen und eine «tourettetisierte Seele» erzeugen (wie ein Patient, den ich später kennenlernte, voller Bitterkeit sagte)? Auf der Seele des Tourette-Patienten lastet ein physiologischer, ein existentieller, ja ein beinahe religiöser Druck, und die Frage ist, ob sie dies unbeschadet und heil übersteht oder ob sie scheitert und von jedem Impuls unverzüglich in Beschlag genommen und somit gewissermaßen enteignet wird.
    Den folgenden Satz von Hume habe ich bereits an anderer Stelle zitiert: «... so kann ich wagen ... zu behaupten, daß [wir] nichts sind als ein Bündel oder ein Zusammen verschiedener Perzeptionen, die einander mit unbegreiflicher Schnelligkeit folgen und beständig in Fluß und Bewegung sind. »
    Für Hume ist die persönliche Identität also eine Fiktion- wir existieren nicht, sondern sind nur eine Abfolge von Sensationen oder Wahrnehmungen.
    Bei einem normalen Menschen ist dies jedoch offenbar nicht der Fall, denn er ist im Besitz seiner Wahrnehmungen. Sie sind nicht ein bloßes Dahinfließen, sondern gehören ihm und sind durch eine beständige Individualität, ein Ich, geeint. Dagegen mögen Humes Worte genau auf einen Menschen zutreffen, der so labil ist wie ein Super-Tourette-Patient. Dessen Leben ist nämlich in gewisser Hinsicht eine Abfolge von willkürlichen oder konvulsiven Wahrnehmungen und Bewegungen, ein phantasmagorisches Hin und Her ohne Mittelpunkt und Sinn. In diesem Sinne ist er tatsächlich eher ein «Humesches» als ein menschliches Wesen. Dies ist die philosophische, ja religiöse Dimension seines Schicksals, wenn das Verhältnis zwischen Impuls und Ich zu sehr zugunsten des ersteren verschoben ist. Es hat eine gewisse Ähnlichkeit mit dem «freudianischen» Los, das auch von Impulsen dominiert wird - aber dieses hat einen (wenn auch tragischen) Sinn, während das «Humesche» Schicksal sinnlos und absurd ist.
    Der Super-Tourette-Patient ist daher wie kein anderer gezwungen zu kämpfen, und zwar einfach, um zu überleben - um trotz der ihn fortwährend bestürmenden Impulse ein Individuum zu werden und sich als solches zu behaupten. Es ist möglich, daß er von frühester Kindheit an außerordentliche Hindernisse zu überwinden hat, um seine individuellen Eigenarten auszubilden und eine eigenständige Persönlichkeit zu werden. Es ist ein Wunder, daß dies in den meisten Fällen gelingt - aber die Lebenskraft und der Wille, als einmaliges, unverwechselbares Individuum zu überleben, sind die absolut stärksten Kräfte, die dem Menschen innewohnen. Sie sind stärker als Krankheit, stärker als alle Impulse. Auf diesem Feld erweist sich die streitbare Gesundheit gewöhnlich als Sieger.

TEIL DREI
Reisen
Einleitung
    Als ich das Konzept der Funktion kritisierte und den Versuch einer recht radikalen Neudefinition unternahm, habe ich diesen Begriff gleichwohl

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