Der Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte
gebrauchen) ‹Verdoppelung des Bewußtseins› - recht häufig auf. Man hat das plötzliche Aufwallen von Erinnerungen im Verlauf okulogyrischer Krisen beschrieben, zum Beispiel in einem von Zutt geschilderten Fall, bei dem sich ‹Tausende von Erinnerungen plötzlich im Kopf des Patienten drängten›. Penfield und Perot ist es gelungen, durch Stimulierung epileptogener Punkte auf der Hirnrinde stereotype Erinnerungen hervorzurufen, und sie vermuten, daß sowohl natürlich entstandene als auch künstlich ausgelöste Anfälle bei solchenPatienten ‹fossile Erinnerungssequenzen› im Gehirn aktivieren.
Wir nehmen an, daß unsere Patientin (wie jedermann) über eine fast unendliche Zahl von ‹schlummernden› Gedächtnis spuren verfügt, von denen einige unter besonderen Bedingungen, vor allem bei starker Erregung, reaktiviert werden können. Diese Spuren, so glauben wir, haben sich - wie die subkortikalen Eindrücke lange vergangener Ereignisse, die weit unterhalb der geistigen Wahrnehmungsschwelle geblieben sind - unauslöschlich in das Nervensystem eingegraben und können unbegrenzte Zeit in einem Ruhezustand verharren, weil es entweder zu keiner Erregung kommt oder weil eine spezifische Hemmung vorliegt. Die Auswirkungen einer Erregung oder einer Enthemmung können natürlich identisch sein und zu einer wechselseitigen Reizverstärkung führen. Wir bezweifeln jedoch, daß sich die Behauptung halten läßt, die Erinnerungen unserer Patienten seien während ihrer Krankheit lediglich ‹unterdrückt› und dann, als Reaktion auf die Verabreichung von L-Dopa, ‹freigesetzt› worden.
Die forcierte Erinnerung infolge von L-Dopa, Sondierungen der Hirnrinde, Migräneanfällen, Epilepsien, Krisen usw. ist wohl in erster Linie auf eine Erregung zurückzuführen, während die ausschweifenden nostalgischen Erinnerungen, zu denen es im hohen Alter und manchmal infolge von Trunken heit kommt, wohl eher auf eine Enthemmung und eine Freilegung archaischer Spuren zurückzuführen sind. All diese Zustände können Erinnerungen ‹freisetzen› - sie alle können zu einem Wieder-Erleben der Vergangenheit führen. »
17
Reise nach Indien
Bhagawhandi P., ein neunzehnjähriges indisches Mädchen mit einem bösartigen Gehirntumor, wurde 1978 in unsere Klinik eingeliefert. Der Tumor - ein Astrozytom - war zum ersten Mal entdeckt worden, als sie sieben gewesen war. Damals aber war er nur von geringer Malignität und scharf umrissen gewesen, so daß man ihn vollständig hatte entfernen können. Die Hirnfunktion war ganz wiederhergestellt worden, und Bhagawhandi hatte ins normale Leben zurückkehren können.
Dieser Aufschub hatte zehn Jahre gedauert. Bewußt und dankbar hatte sie in dieser Zeit ihr Leben genossen, denn da sie ein intelligentes Mädchen war, wußte sie, daß in ihrem Kopf eine «Zeitbombe» tickte.
In ihrem achtzehnten Lebensjahr kam es zu einem Rezidiv, und diesmal war der Tumor weit aggressiver und bösartiger als zuvor. Außerdem ließ er sich nicht mehr durch eine Operation entfernen. Eine Druckentlastung wurde vorgenommen, um seine Ausbreitung zu ermöglichen - und in diesem Zustand, mit linksseitigen Schwäche- und Taubheitsgefühlen, gelegentlichen Anfällen und anderen Beschwerden, wurde Bhagawhandi bei uns eingeliefert.
Zunächst war sie recht fröhlich und schien ihr Schicksal zu akzeptieren. Sie suchte immer noch den Kontakt zu anderen Menschen, war aktiv und entschlossen, so lange wie möglich neue Erfahrungen zu machen und das Leben zu genießen. Als der Tumor sich ihrem Schläfenlappen näherte und die Dekompressionsöffnung sich vorzuwölben begann (wir gaben ihr Steroide, um die Gefahr eines Hirnödems zu verringern), wurden ihre Anfälle häufiger - und merkwürdiger.
Ursprünglich hatte sie Grandmal-Anfälle gehabt, und diese traten auch jetzt noch gelegentlich auf. Ihre neuen Anfälle waren jedoch ganz anderer Natur: Sie verlor nicht das Bewußtsein, sondern war sichtlich «verträumt»; es hatte den Anschein (und dies wurde durch eine EEG-Untersuchung bestätigt), daß sie jetzt häufig Schläfenlappen-Anfälle hatte, die, wie Hughlings Jackson festgestellt hat, oft durch «Verträumtheit» und unwillkürliche Erinnerungen gekennzeichnet sind.
Bald nahm diese vage Verträumtheit einen enger umrissenen, konkreteren und visionäreren Charakter an. Bhagawhandi hatte jetzt Visionen von Indien- sie sah Landschaften, Dörfer, Häuser und Gärten -, die sie sofort als Orte erkannte, wo sie als Kind
Weitere Kostenlose Bücher