Der Mann, der seine Frau vergaß
und entdeckt die eselsohrige Postkarte mit dem Kobold, der ihr mit einem Glas Guinness zuprostet. Ich stelle mir vor, wie sie lacht und ihrer verwirrten Freundin den Zusammenhang erklärt. Doch mir gegenüber erwähnt sie den Vorfall mit keiner Silbe.
Monate später bekomme ich ein riesiges geheimnisvolles Paket mit der Post. Ich schneide das zentimeterdicke Klebeband auf und stelle fest, dass es eine zweite, etwas kleinere Pappschachtel enthält. Darin: Unmengen von Bubblefolie, die einen edlen Geschenkkarton umhüllt. Ich öffne ihn und finde ein aufwendig verpacktes Präsent. Nachdem ich mich durch ein gutes Dutzend Schichten Geschenkpapier gearbeitet habe, stoße ich auf ein kleines Kuvert mit aufgeprägtem Schriftzug, und obwohl mir schwant, dass mir jemand einen Streich spielen will, ist mir noch immer nicht ganz klar, dass ich die alberne Postkarte zurückbekommen habe, die ich eigentlich an Großtante Brenda hätte schicken sollen.
Und so wanderte dieses beziehungsreiche Symbol im Lauf der Jahre immer wieder hin und her, ohne dass einer von uns das Spiel auch nur mit einem Wort erwähnte. Das war quasi ein ungeschriebenes Gesetz. Der Empfänger rief nie an und sagte: »Da hast du mich aber ganz schön drangekriegt!« Vielmehr grinste ich über den Einfallsreichtum meiner Frau, versteckte die Karte und wartete auf eine günstige Gelegenheit, um sie mittels einer noch ausgeklügelteren Finte in Maddys Obhut zurückzubefördern. Der Erhalt der Karte verpflichtete den Adressaten, das Mistding an Großtante Brenda zu schicken, obwohl Großtante Brenda bereits seit Ewigkeiten tot war und unter der Anschrift auf der Karte inzwischen eine Familie aus Bangladesch firmierte – dennoch oblag es dem jeweiligen Besitzer, die Karte ihrer ursprünglichen Verwendung zuzuführen, es sei denn, es gelang ihm, sie dem anderen möglichst unbemerkt unterzuschieben.
Als Maddy eines Tages ihren neuen Computer einschaltete, erschien ein Digitalfoto des Kobolds auf ihrem Bildschirm, zusammen mit der Aufforderung, doch bei Gelegenheit einen Blick in das Papierausgabefach ihres Druckers zu riskieren. Einmal schlug Maddy vor, bei meinem Stammlieferanten eine Pizza zu bestellen, und als ich den großen, flachen Karton aufklappte, sah ich, dass Maddy den Pizzadienst gebeten hatte, mir statt eines belegten Teigfladens Großtante Brendas Karte zu liefern. Nachdem Maddy geschmackvolle Schwarz-Weiß-Fotos von den Kindern im Treppenhaus aufgehängt hatte, kam sie eines Tages nach Hause und stellte fest, dass in jedem Bilderrahmen eine Farbkopie des bierseligen Kobolds steckte, der ihr feixend »einen schönen guten Morgen« wünschte, während das Original einen großen Wechselrahmen okkupierte, umrahmt von einer bunt blinkenden Lichterkette.
Die Erinnerung an all das kehrte mit einem Schlag zurück, als ich an meinem ersten Arbeitstag vor einem Computer saß. Es war, als hätte die Suchmaschine in meinem Gehirn endlich eine bestimmte Dateierweiterung ausfindig gemacht. Am liebsten hätte ich es sofort allen erzählt, doch da es den Kollegen aus der Verwaltung ohnehin nicht sonderlich behagte, dass man ihnen einen Lehrer vor die Nase gesetzt hatte, wollte ich um meine »Geisteskrankheit« kein unnötiges Aufhebens machen.
Ich spielte mit dem Gedanken, Maddy anzurufen, um in Erinnerungen an unsere privaten Running-Gags zu schwelgen, aber danach stand ihr wohl kaum der Sinn. Leider konnte ich diese Episoden auch nicht in meine Online-Memoiren aufnehmen. Obgleich ich mich nach solchen Reminiszenzen förmlich verzehrt hatte, war ich gezwungen, sie fürs Erste zu verdrängen, um mein neues Leben gebührend in Angriff nehmen zu können.
Mein erster Arbeitstag gab meinem Selbstbewusstsein einen dringend benötigten Schub. Ich leistete einen Beitrag; ich hatte einen Grund, morgens aufzustehen. Mein Job als Aushilfsassistent in der Verwaltung einer städtischen Gesamtschule war bedeutender und abwechslungsreicher als alles andere, womit ich mir in den letzten Wochen die Zeit vertrieben hatte, wie zum Beispiel im Krankenhaus zu liegen und mir endlose Wiederholungen von All-Star Mr & Mrs anzusehen. Ich war an meine alte Wirkungsstätte zurückgekehrt und konnte nun herausfinden, wie ich ins Gefüge passte und an was für einer Lehranstalt ich eigentlich unterrichtete.
Ich hatte Zugriff auf detaillierte Informationen über mehr als tausend Schüler. Ich brauchte nur auf den Namen irgendeines Eleven zu klicken, und schon erfuhr ich seinen
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