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Der Mann, der starb wie ein Lachs

Der Mann, der starb wie ein Lachs

Titel: Der Mann, der starb wie ein Lachs
Autoren: Mikael Niemi
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Untergrundbahn gezogen. Der Zug nach Hässelby. Nein, das war falsch, er wartete. Ein Mann mit einer Augenentzündung kam näher, er trug ein Glasterrarium mit einer kleinen, grün gesprenkelten Pythonschlange. Der Mann setzte sich neben Esaias auf die Bank. Die Schlange hob ihren schuppigen Kopf, drehte ihn, bis er Richtung Süden zeigte. Die Schlangenzunge zeigte die Richtung, immer und immer wieder. Da kam der Zug nach Farsta.
    Esaias stieg ein und setzte sich ans Fenster, der Sog wurde schwächer. Er setzte sich ans gegenüberliegende Fenster. Ein dreckiger Junkie in Jeansjacke saß dort und zwirbelte seine Haare, murmelte etwas in seiner Psychose, ärgerte sich über alle Fliegen im Halsausschnitt. Keiner wollte neben ihm sitzen, die Leute blieben lieber auf dem Gang stehen. Der Dreckige beugte sich plötzlich vor und pflückte einen großen, glänzenden Mistkäfer von Esaias, gerade als dieser ihm in den Jackenärmel kriechen wollte.
    »Zehn neun«, sagte der Dreckige mit leicht nordischem Akzent und schaute durch das spiegelnde schwarze Fenster nach draußen.
    »Acht«, sagte Esaias.
    »Sieben sechs. Sieben sechs.«
    »Vier.«
    Der Dreckige ballte die Faust um das Insekt, fühlte, wie es zappelte.
    »Fünf«, sagte Esaias.
    »Zwei drei. Drei zwei.«
    Mit ganzer Kraft zerquetschte der Typ den Mistkäfer an der Fensterscheibe. Drückte Hartes und Weiches dagegen. Lachte mit seinen braunen Eckzähnen. Hob langsam die Handfläche mit den schwarzen, kaputten Nägeln wieder vom Glas.
    Dort gab es nichts Zerquetschtes. Doch draußen, an der Außenseite der Scheibe, flog der Mistkäfer ebenso schnell wie der Zug, eine schwarzglänzende, brummende Molybdänkugel.
    Ein anderer Zug näherte sich von hinten und ratterte auf den Parallelschienen, sie lieferten sich ein Wettrennen, das Tunneldunkel wurde durch viereckige Fensterreihen erleuchtet. Die Wagen ruckelten Seite an Seite, Esaias fühlte, wie die Passagiere im anderen Zug guckten und dann ihren Blick wieder abwandten, ein wenig peinlich berührt. Sie saßen so nahe beieinander, dass sie sich mit ausgestreckten Armen hätten berühren können. Ein wenig zu intim.
    Der andere Zug nahm an Fahrt zu, ein Wagen nach dem anderen fuhr vorbei. Noch ein Fenster landete neben seinem, ganz nah. Zwei vibrierende Bildschirmscheiben, einander zugewandt. Direktübertragung, jetzt. Live.
    Esaias schnappt heftig nach Luft. Starrt.
    Im anderen Wagen sitzt ein Mann in einer glänzenden, lilafarbenen Lederjacke.
    Sie betrachten einander, beide beugen sich vor, Esaias macht eine hilflose Bewegung mit dem Unterkiefer.
    Pettersson. Das ist Pettersson. Der Zug wird langsamer, ihre Fenster entgleiten einander, werden aber wie von einer unerhörten Kraft gleich wieder zusammengefügt. Der Magnetismus der Jacken weigert sich, sie loszulassen.
    Pettersson betrachtet ihn wachsam, in der Faust hält er etwas Schwarzes, Schwelendes. Ein Zigarillo? Eine Zündschnur? Esaias gestikuliert fieberhaft, mimt durch die Scheiben mit überdeutlichen Lippenbewegungen:
    »Wo wohnst du? Wo. … wohnst … du?«
    Pettersson holt ein Handy heraus und hält es demonstrativ ans Ohr. Streckt dann eine geschlossene Faust hin, dann sieben Finger, dann wieder eine geschlossene Faust. Null sieben null, und dann? Zwei Finger. Fünf. Null …
    Die Wagen gleiten auseinander. Das Fenster verschwindet. Drei Finger und dann sieben oder sechs Finger? Verdammt. Die Tunnelwand taucht auf, Leuchtstoffröhren, Leute stehen auf dem Bahnsteig, zischen vorbei. Vom Mistkäfer keine Spur.
    Der Junkie ist jetzt vollkommen entspannt, er hat flauschiges Strickzeug aus seiner Plastiktüte herausgeholt. Die Lippen bewegen sich, und während er die Maschen auf dem Metall zählt, huscht ein Baum nach dem anderen entlang der Bahnstrecke dahin, Ziffer für Ziffer, Fenster für Fenster entlang dem verschlungenen Untergrundbahnsystem.
     

44
     
    Der Feueralarm ging beim Rettungsdienst Pajala um 04.43 morgens ein. Im ganzen Ort begannen die Pieper bei den sechs freiwilligen Feuerwehrleuten, die Bereitschaftsdienst hatten, zu piepsen. Verschlafen sprangen sie in ihren Wohnhäusern aus den Betten, zogen sich an und fuhren zur Wache am westlichen Ende der Stadt. Sobald der Alarm ausgelöst worden war, wurde die Wache automatisch erleuchtet und die Haustür aufgeschlossen, und jetzt rannte jeder für sich zu seinem Metallschrank, in dem die Overalls bereit zum Hineinschlüpfen lagen, die Hosenbeine bereits in die Stiefel geschoben. Nur vier
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