Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Mann, der wirklich liebte

Der Mann, der wirklich liebte

Titel: Der Mann, der wirklich liebte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
Vom Netzwerk:
Zipfel Licht verschluckte. Das machte ihm entsetzliche Angst. Röhrdanz glaubte, von dieser schwarzen Wolke verschlungen zu werden, wenn er nicht sofort das Krankenzimmer verließ.
    Leise schlich er den Flur entlang, und obwohl er es nicht vorgehabt hatte, stand er plötzlich vor der Krankenhauskapelle. Er zog die schwere Tür auf. Kühle, Stille und Dunkelheit umfingen ihn. Er setzte sich still in die letzte Bank. Als seine Augen sich an die Schwärze gewöhnt hatten, nahm er die Umrisse des Kreuzes über dem Altar wahr. Er faltete seine Hände und starrte wie gebannt nach vorn, wartete auf irgendeine Erscheinung, irgendein Zeichen.
    Lieber Gott, wenn es dich gibt, dann mach jetzt irgendwas.
    Nichts. Nur Schwärze und grässliche Angst.
    Ich sitze jetzt hier, lieber Gott. Ich weiß, dass ich seit Jahren nicht gebetet habe, geschweige denn in der Kirche war. Aber du hast mich an den Ohren hierhergezogen.
Jetzt bin ich klitzeklein. Ich kann nur flehen, betteln, heulen und mit den Zähnen knirschen. Jetzt bin ich ein Hiob geworden. Bitte, nimm mir meine Frau nicht weg. Nimm den Kindern ihre Mutter nicht weg. Nicht so. Nicht so unermesslich grausam. So quälend langsam. Sie ist eingeschlossen, Gott! Eingemauert! Kein Gefangener dieser Welt ist so gelähmt wie sie! Sie hat es nicht verdient, Gott! Sie hat nichts Böses getan! Sie war immer so eine heitere, lustige, warmherzige und liebevolle Frau …
    Und plötzlich fand Röhrdanz einen Weg aus der Hölle der Verzweiflung, indem er durch den Tunnel der Erinnerung ging. Und da, am Ende des Tunnels, sah er Angela, wie sie damals zum ersten Mal an seine Bürotür klopfte.

12
    »Guten Morgen, Herr Röhrdanz. Ich bin die Neue.«
    »Na, dann kommen Sie mal rein.« Röhrdanz schaute wohlwollend auf das junge schüchterne Mädchen. Es war blond, recht hübsch und trug eine Brille.
    »Was können Sie denn?«, scherzte er.
    »Wie meinen Sie das, ich …«
    »Haben Sie schon mal Kaffee gekocht?«
    »Ja, aber …«
    »Oder Bleistifte angespitzt?« Röhrdanz grinste spitzbübisch und zeigte auf den Stiftehalter. »Da! Aber wehe, es bricht einer ab!« Sie wollte schon loslegen, als er lachend sagte: »Sie wollen doch hier was lernen, oder? Am besten, Sie machen die Ablage, da bekommen Sie gleich was von unserem Schriftverkehr mit …«
     
    D ann der Tag, an dem er mit Angela und noch zwei Azubis nach Mainz gefahren war. Ins Gutenberg-Museum. Das gehörte zum Ausbildungsprogramm seiner Firma. Die alten Druckmaschinen erklären. Auf der Rückfahrt stellte Röhrdanz seinen Rückspiegel so ein, dass er ihr ins Gesicht schauen konnte. Manchmal trafen sich ihre Blicke, und dann sah sie schnell aus dem Fenster. Es war ein amüsantes Spiel, und Röhrdanz hatte seinen Spaß. Sie hatte ziemlichen Respekt vor ihm, weil Röhrdanz
sie immer rechnen ließ. Mathe war nicht gerade ihre Stärke. Plötzlich wurde Angela blass. Sie versuchte, das Fenster herunterzukurbeln, doch es gelang ihr nicht.
    »He, aber jetzt nicht kötzeln!«
    Zu spät. Angela würgte bereits. Röhrdanz lenkte den Wagen so schnell er konnte auf den Seitenstreifen, sprang hinaus und riss die hintere Tür auf.
    Sie fiel ihm entgegen und übergab sich auf seine Schuhe.
    Na toll, dachte Röhrdanz, während er die junge Frau hielt. Das kommt von deinem dämlichen Geflirte. Du hast sie total überfordert. Die ist doch erst sechzehn, Mann!
    Und das ist jetzt die Strafe.
    Die vorbeirasenden Autos hupten, er fühlte den kalten Windzug. Raus aus der Gefahrenzone!
    Röhrdanz zog Angela ins Gras, tupfte ihr den Mund ab und zitterte selbst vor Schreck.
    »Geht es wieder?«
    »Entschuldigung! Das ist mir jetzt voll peinlich …« Sie würgte schon wieder. Die anderen Auszubildenden, die noch im Auto saßen, wandten sich angewidert ab.
    Da kam noch eine zweite Ladung. »Ist ja gut, ist ja gut.« Röhrdanz machte sich ernsthafte Vorwürfe, fuhr sie persönlich nach Hause und übergab sie ihren Eltern.
    »Ach Gott, das ist uns aber unangenehm! Hat sie Ihnen Umstände gemacht?«
    Nee, sie hat mir nur auf meine neuen Lederschuhe gekotzt. Nichts weiter.
    »Lassen Sie sie morgen mal zu Hause«, sagte er großzügig.

    D ann der Bowling-Ausflug, ein Jahr später. Da war sie schon deutlich weniger schüchtern und hatte die babyblaue Strickjacke gegen ein kesseres Outfit getauscht. Enge Jeans, witzige Stiefeletten, sexy Bluse.
    »Gehen Sie öfter Bowlen, Angela?«
    »Manchmal, mit meinem Freund!«
    Sie hat einen Freund. Was hast du denn gedacht,

Weitere Kostenlose Bücher