Der Mann, der wirklich liebte
die kleine Putzfrau am Kittelkragen. »Verschwinden Sie!«
»Was hat Frau?«, krächzte die Alte. »Ist das deine Frau?«
»Ja! Und jetzt gehen Sie!«
»Warum weinen Mann?«
»Verschwinden Sie endlich!«
Die Alte hob ihr Gesicht und sah Röhrdanz plötzlich
mit ihren grauen, durchdringenden Augen an. »Frau wird leben. Und Baby wird leben.«
Kurz darauf war sie mitsamt ihrem Wischmopp verschwunden.
Röhrdanz blieb einen Moment verdattert stehen. Woher wollte die Putzfrau das wissen? Woher wusste sie überhaupt, dass Angela schwanger war?
Er riss die Tür auf und spähte in den dämmrigen Flur hinaus.
Aber von der Alten war nichts mehr zu sehen.
Er rannte nach rechts, den Flur hinunter, bis zu den Aufzügen. So weit konnte die Frau doch unmöglich gekommen sein. Er schaute in die Toilettenräume, aber da war sie auch nicht. Verwundert lief er zurück, warf einen Blick in Angelas Zimmer. Aber hier war die Alte ebenfalls nicht. Er lief nach links, klopfte ans Schwesternzimmer. Die freundliche Nachtschwester war soeben im Begriff, ihre Schicht zu beenden, und besprach sie gerade mit der Morgen-Schwester. Beide hoben überrascht den Blick.
»Diese Putzfrau … Wo kann sie hingegangen sein?«
»Welche Putzfrau?«
»Die kleine Ausländerin mit dem Kopftuch!«
Die beiden Schwestern sahen sich fragend an. »Herr Röhrdanz, Sie müssen sich irren. Um diese Zeit sind die Putzfrauen überhaupt noch nicht hier!«
»Aber da war so eine Zigeunerin …«
»Sie sollten sich wirklich ein bisschen ausruhen, Herr Röhrdanz«, sagte die Morgen-Schwester freundlich.
»Und da war eine Fliege …« Röhrdanz spürte selbst, dass er kurz davor war, durchzudrehen.
»Ich kümmere mich jetzt um Ihre Frau.« Die Morgen-Schwester warf ihrer Kollegin einen bedeutungsvollen Blick zu und schob Röhrdanz sanft aus dem Zimmer. »Gehen Sie nach Hause. Versuchen Sie, ein bisschen zu schlafen.«
21
»Glauben Sie an ein Wunder?« Professor Leyen, der Chefarzt, schaute Röhrdanz mitleidig an.
Dieser senkte den Blick. Seine Augen waren inzwischen von dunklen Ringen umgeben, er sah aus, als hätte er einen Boxkampf verloren. Er war nur kurz zu Hause gewesen, hatte gründlich geduscht und frische Sachen angezogen.
»Ich weiß es nicht, Herr Professor«, murmelte Röhrdanz. Er hatte sich beim Rasieren geschnitten, weil seine Hände so zitterten, und nun klebte ein Pflaster auf seiner linken Wange. »Aber wir dürfen die Maschinen auf keinen Fall abstellen …«
Endlich ließ jemand Röhrdanz einmal ausreden. Professor Leyen hörte sich alle seine Bedenken an, unterbrach ihn nicht und nickte mehrmals.
»Wenn Sie das nicht wünschen, tun wir das nicht«, sagte Professor Leyen warm. »Ich habe gehört, dass Sie gekämpft haben wie ein Löwe.« Er rieb sich die Stirn.
»Doch selbst wenn Ihre Frau nicht an einem Apallischen, sondern an einem Locked-in-Syndrom leiden sollte, also gelähmt, aber doch bei Bewusstsein ist, sind die Überlebenschancen nicht sehr groß. Weder für die Mutter noch für das Kind. Die Schwangerschaft dauert
schließlich noch sechs Monate … Bitte machen Sie sich nicht allzu große Hoffnungen.«
»Angela weiß, dass sie noch eine Aufgabe zu erledigen hat«, stammelte Röhrdanz bewegt. »Sie wird nicht sterben. Sie fühlt, dass sie das Kind zur Welt bringen muss.«
Professor Leyen hörte geduldig zu. »Wir werden die Maschinen nicht abstellen, das verspreche ich Ihnen.«
Röhrdanz sprang auf, hätte den Mann am liebsten umarmt. »Oh, Professor Leyen, ich danke Ihnen so sehr! Sie sind der Erste, der mir zuhört und der meine Hoffnungen nicht im Keim erstickt …«
»Aber es ist eine entsetzliche Qual für Ihre Frau, so bewegungslos dazuliegen, dessen müssen Sie sich bewusst sein!«
»Ja«, stieß Röhrdanz bewegt hervor. »Wie können wir ihr dieses Leben erleichtern?«
»Sie bekommt ohnehin schon Valium, zur Sicherheit, damit sie nicht wahnsinnig wird. Wenn sie allerdings so lange am Leben gehalten werden soll, bis das Baby eventuell zur Welt kommt …« Professor Leyen verstummte kopfschüttelnd. »Aber das ist eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit. Eine werdende Mutter sollte keine starken Beruhigungsmittel zu sich nehmen, denn Sie wissen ja, dass solche Wirkstoffe das Baby schädigen können.«
»Können Sie die Dosis nicht so einstellen, dass …?« Professor Leyen wiegte den Kopf abwägend hin und her. »Die geistige und vermutlich auch körperliche Entwicklung des Fötus werden dadurch auf jeden Fall
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