Der Mann, der wirklich liebte
denk an was Schönes, Schatz, denk an Schloss Burg und wie du mir in die Arme gesprungen bist, damals, als du auf dem Felsen herumgeklettert bist. Weißt du noch, du hattest diesen durchsichtigen braunen Rock an und die Seidenbluse, und ich hab gedacht, darf ich diese wunderschöne junge Frau irgendwann mal anfassen?« So schleppte und hievte Röhrdanz sie ins Bad und wieder zurück durch die Wohnung. Wir schaffen das, wir schaffen das, wir schaffen das.
Was mache ich, dachte er, was mache ich hier bloß? Ich könnte auch ein Klavier allein durch die Wohnung schleppen und versuchen, es auf die Klobrille zu hieven.
»Erinnerst du dich noch an das feine Hotel in Baden-Baden, wo wir Irene gesehen haben? Was die wohl jetzt macht?« Er ächzte, weil sie die Kurve am Flurspiegel kriegen mussten. »Die hat bestimmt goldene Wasserhähne, weiß aber das Wasser nicht zu schätzen, das da rauskommt. Ich sage dir, die ist bestimmt nicht halb so glücklich wie wir.«
Jemand stieß von unten mit dem Besenstiel an die Decke. »Ruhe da oben! Das ist nächtliche Ruhestörung!«, kreischte eine aufgebrachte Frauenstimme.
»Reg dich ab, Frau Seidl«, schrie Röhrdanz zurück. »Meine Frau geht nach drei Jahren zum ersten Mal wieder aufs Klo!«
Zu hören war das schwere Poltern ihrer vier Füße, das
möglichst unbefangene Plaudern von Röhrdanz und das angstvolle Stöhnen Angelas.
Olivers Tür ging auf, und sein zerzauster Strubbelkopf erschien im Halbdunkel: »Spinnt ihr? Was macht ihr denn für einen Krach?«
»Wir waren nur kurz auf dem Klo«, sagte Röhrdanz beiläufig, indem er Angela möglichst elegant um die Kurve manövrierte. »Kannst du mal abziehen? Das haben wir wohl im Eifer des Gefechts vergessen.«
I m Neurologischen Therapiezentrum übte Angela Tag für Tag, Stunde um Stunde die kleinsten Bewegungen, und Röhrdanz besuchte sie wie gewohnt in jeder Mittagspause.
»Na Mahlzeit!«, rutschte es ihm begeistert heraus, als er eines Tages gerade dazukam, als eine Pflegerin ihr winzige Mengen Joghurt auf einem Löffel in den Mund schob.
»Du kannst ja schlucken! Da ist dein erstes Schnitzel nicht mehr weit!«
»Sie macht gute Fortschritte«, sagte die Pflegerin, die Röhrdanz wegen seines trockenen Humors schon lange ins Herz geschlossen hatte. »Aber eile mit Weile, lieber Herr Röhrdanz. Die Schluckmuskeln, die Zunge und der Kehlkopf müssen noch trainiert werden! Wenn sie sich verschluckt, kann das richtig böse enden …«
»Aber es geht doch schon ganz fantastisch!« Röhrdanz nahm der Pflegerin den Löffel aus der Hand, kniete sich vor Angela auf den Fußboden und schob ihr eine winzige Portion Joghurt in den Mund. »So, mein Schatz. Stell dir
vor, das wäre Kaviar, und wir beide wären auf einem Kreuzfahrtschiff in der Südsee. Gleich spülen wir mit Champagner nach und gehen auf unsere Kabine …«
Die Schwester lachte. »Das stelle ich mir auch gern vor, Herr Röhrdanz …«
Angela rollte mit den Augen und bemühte sich sehr, den Vorführeffekt nicht zu vermasseln. Endlich schaffte sie es, ihre Zunge dazu zu bringen, den Joghurt in den hinteren Rachenraum zu schieben und den Schluckreflex zu aktivieren. Die Anstrengung hatte sie rot anlaufen lassen. Ihr Atem ging schwer.
»Hurra! Du kannst wieder alleine essen!« Röhrdanz klatschte übermütig Beifall. »Dann bestelle ich schon mal einen Tisch in der Goldenen Krone!«
»Nun, Herr Röhrdanz, das bedarf doch noch monatelanger Übung«, bremste die Pflegerin seine Begeisterung. »An Kauen ist vorerst noch gar nicht zu denken! Die Speisen müssen ganz fein püriert sein, wenn überhaupt.«
Angela liefen die Tränen aus den Augen, wie immer, wenn sie eine Gefühlsregung hatte. Ob sie vor Freude weinte, vor Anstrengung, Verzweiflung, Frust oder Scham konnte Röhrdanz nicht ermessen.
»Fest steht, dass meine Frau ganz tolle Fortschritte macht.« Röhrdanz erhob sich ächzend, wobei er den bekannten stechenden Schmerz im Rücken spürte. Er versuchte, nicht das Gesicht zu verziehen, außer zu einem Lächeln. »Wenn sie wieder schlucken kann, werde ich sie auch zu Hause füttern. Was meinst du, Angela? Schaffen wir das?« Zärtlich fuhr Röhrdanz seiner Frau mit den Fingerrücken über die Wange.
»Lassen Sie es langsam angehen, Herr Röhrdanz. Überstürzen Sie nichts«, warnte die Pflegerin alarmiert. »Versprechen Sie mir das?«
»Klar! Was meinst du, mein Schatz? Wir packen das!«
»Sie müssen niemandem etwas beweisen«, sagte die Pflegerin,
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