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Der Mann, der wirklich liebte

Der Mann, der wirklich liebte

Titel: Der Mann, der wirklich liebte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
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mehrmals die Windel leer vorgefunden,
als er Angela säuberte. In der Reha hatte man Beckenboden- und Schließmuskel mit ihr trainiert, und sie machte gute Fortschritte.
    »Du bist jetzt auf jeden Fall weiter als Patrick. Mit seinen zwei Jahren ist der natürlich noch nicht stubenrein …«
    Der ältere Philip war unter der Woche noch immer häufig bei Oma Helga und Schwägerin Dagmar. Der kleine Kerl war kaum noch zu bändigen. Er hatte einen ungeheuren Bewegungsdrang und brauchte Aufmerksamkeit. Wie sollte Röhrdanz dem allen noch gerecht werden?
    Am Wochenende holte Röhrdanz den Jungen zwar in die Wohnung, aber dann kam es vor, dass er fremdelte, Angst vor dem unheimlichen Anblick seiner eigenen Mutter hatte und nach seiner Oma verlangte. Dann weinte Angela bitterlich, was Philip dazu brachte, sich noch mehr vor seiner Mama zu fürchten. Es waren schreckliche Momente für Angela, und Röhrdanz litt mit ihr.
    Andererseits war Angela ungeheuer dankbar, dass er sie nicht nach Bad Godesberg geschickt hatte. Dort wäre sie vor Einsamkeit und Sehnsucht gestorben.
    »Da-he.« Danke, dass ich daheim sein darf. Danke, dass ich meine Kinder hören und fühlen darf. Danke, dass du dich um mich kümmerst. Dass ich deine liebevollen Hände auf mir spüren darf, deine Stimme hören und deinen Atem riechen. Danke, mein Mann. Ich liebe dich.
    Immer wieder kam dieses rührende »Da-he«.

    Und er murmelte dann, dass sie sich bei der Hochzeit doch etwas versprochen hätten. So ganz genau hätte er das zwar wegen seines Katers nicht mitbekommen, aber es hätte etwas mit guten und schlechten Zeiten zu tun gehabt.
    »Dass die Zeiten so schlecht werden würden, konnte der Pfarrer schließlich nicht wissen, sonst hätte ich mit dem Burschen noch mal verhandelt«, scherzte er manchmal, wenn er sich das schmerzende Kreuz rieb.
    Es war Mitternacht. Oliver hatte soeben das Licht in seinem Zimmer gelöscht, seine ohrenbetäubende Musik war verstummt, auch die Spieluhr im Kinderzimmer drehte sich nicht mehr, die Kleinen schliefen. Die Küchenuhr tickte. Das Mobile an der Decke drehte sich. Angela lag reglos auf dem Sofa, die Augen starr zur Decke gerichtet.
    »Sollen wir?« Röhrdanz spuckte symbolisch in die Hände.
    »Nein!«, protestierte Angela in Panik.
    »Du mit deinem schlimmen Rücken«, hörte er Angela in Gedanken schimpfen. »Fang gar nicht erst damit an! Es reicht schon, wenn sie mich in der Reha mit dem Flaschenzug aufs Klo hieven.«
    »Also los.« Röhrdanz legte Angelas Arme um seine Schultern, wo sie wie Wackersteine liegen blieben. Er verstand seine Frau genau. Sie hatte Angstzustände, ihr Gleichgewichtssinn war gestört, ihr war schwindelig, sie fürchtete und schämte sich. Er sollte ihr nicht den Hintern abputzen.
    Aber das Gute an der ganzen Situation war: Er konnte
so tun, als ob er sie nicht verstanden hätte. Und stoisch ignorieren, was sie ihm mitteilen wollte.
    So wie damals, vor knapp drei Jahren, als sie zwei Stunden dazu gebraucht hatte, ihm ihren ersten Satz per Lidschlag zu diktieren:
    »Lasst mich sterben.«
    Fehlermeldung. Nicht angekommen. Leider.
    »Ich habe folgenden Plan …« Röhrdanz ignorierte seine stechenden Rückenschmerzen, während er sich mühsam mitsamt seinem Mühlstein um den Hals zentimeterweise erhob. »Du hängst dich an mich, ich packe dich um die Hüften, wie sie es uns in der Reha gezeigt haben - gestatten, gnädige Frau, ich greife mal beherzt hier an die Jogginghose -, und wir trippeln Schrittchen für Schrittchen da am Tisch vorbei, du vorwärts, ich rückwärts.«
    Angela gab einen panischen Laut von sich. Röhrdanz ignorierte ihn ebenso wie seine Bandscheibe.
    In der Reha konnte man Angela durch breite, geflieste Gänge schieben. In der Enge der verwinkelten Wohnung waren solche Manöver viel komplizierter. Überall lagen und standen Gegenstände herum, unten versuchten andere Mieter zu schlafen, und die eigenen Kinder wollte man möglichst auch nicht aufwecken.
    Aber wann, wenn nicht jetzt?, dachte Röhrdanz. Üben, üben, üben!
    »Verlass dich auf mich, ich bringe dich sicher ins Bad … erst links durch die Küchentür, dann drei Meter durch den Flur, Vorsicht: die Kleiderhaken und der Spiegel, dann habe ich schon die Klinke von der Klotür in der
Hand, so, jetzt drehen wir uns einmal … fast so elegant wie damals bei unserem Hochzeitswalzer …, und dann lasse ich dich ganz langsam … Ach so,’tschuldigung, erst Hose runter … Ja, das schaffen wir, nicht jammern jetzt,

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