Der Mann, der zweimal starb Kommissar Morry
Sie wußte nicht recht, was sie zu diesen Männern sagen sollte. Hilflos und verwirrt blieb sie vor ihnen stehen.
„Ich bin Evelyn Bloom“, murmelte sie tonlos. Weiter kam kein Wort über ihre Lippen.
„Natürlich sind Sie Evelyn Bloom“, brummte ein hagerer Bursche, der an der Stirnseite des Tisches saß. „Wir kennen Sie doch. Haben Ihren Namen oft von Joseph gehört. Haben Sie auch ein paarmal mit ihm gesehen. Muß gestehen, daß er keine schlechte Wahl getroffen hat. Eine solche Freundin suche ich schon lange. Wollen Sie nicht Platz nehmen, Evelyn?“
Wie Evelyn Bloom diesen vertraulichen und plumpen Ton haßte! Sie fühlte sich wieder einmal grenzenlos erniedrigt. Die anzüglichen Blicke, die auf ihr ruhten, trieben ihr die Schamröte in die Wangen.
„Ich heiße Percy Coogan“, plauderte der hagere Bursche weiter.
„Das hier ist Jack Potter. Der Dicke neben ihm nennt sich Clift Murray . . .“
Evelyn Bloom hörte sechs Namen, die sie nicht im mindesten interessierten. Beklommen blickte sie in die schiefen Gesichter. Ihre Gedanken wanderten unruhig im Kreise. Unter diesen Subjekten hat Joseph also verkehrt, dachte sie erschüttert. Er war nicht besser als sie. Er hat mich getäuscht. Ich bin ihm ahnungslos ins Netz gegangen. Laut sagte sie: „Joseph war heute Nacht bei mir. Er bat um Einlaß in mein Zimmer. Ich habe ihn abgewiesen. Ich will in Zukunft nichts mehr mit ihm zu tun haben.“
„Wer war da?“ fragte Percy Coogan stirnrunzelnd.
„Joseph Hattan.“
„Welch ein Blödsinn“, murmelte der Chor geringschätzig. „Joseph ist tot. Sie haben ihn baumeln lassen. Wer einmal unter dem Galgen stand, der kommt nicht wieder, Evelyn. Es ist ganz selten, daß der Strick gleich dreimal reißt. Und auch dann behalten sie ihre Schäfchen lebenslänglich im Knast.“
„Er war aber da“, beharrte Evelyn Bloom geistesabwesend. „Ich erkannte seine Stimme.“
„Ein Traum“, grinste Percy Coogan spöttisch. „Nichts als ein sehnsüchtiger Traum. Tote reden nicht mehr. Sie stehen auch nicht mehr auf. Wer im Anstaltskrematorium von Pentonville verbrannt wurde, der ist nur noch ein Häuflein Asche. Weiter nichts.“
„Die Polizei denkt aber anders“, warf Evelyn Bloom hastig ein.
„Hilfsinspektor Kirk meint, daß es Joseph Hattan war, der meinen Mann . . . der Oliver so grausam ums Leben brachte. Man fand seine Fingerabdrücke an einer Fensterscheibe.“ Diesmal sagten die sechs Männer kein Wort. Sie stierten ungläubig und fassungslos in das hübsche Gesicht Evelyn Blooms.
„Die Polizei spinnt“, brummte der dicke Clift Murray schließlich. „Die Leutchen vom Yard fallen auf einen raffinierten Trick herein. Vielleicht hat jemand die Fingerabdrücke Josephs auf eine Walze geklebt. Das läßt sich machen. Mit einer solchen Walze kann man überall frische Abdrücke produzieren.“
Evelyn Bloom schüttelte den Kopf. „Er war es selbst“, sagte sie wortkarg. „Ich hörte ihn doch! Ich erkannte seine Stimme.“
Jack Potter biß sich auf die Lippen. Sein häßliches Gesicht nahm einen furchtbaren Ausdruck an. „Mir stülpt sich beinahe der Magen um“, ächzte er. „Verdammt, wenn das wahr wäre. Ich könnte kein Auge mehr zu tun. Stellt euch vor, Boys, wenn dieses Märchen stimmen würde. Wir alle haben Joseph im Stich gelassen. Wir sind ihm nicht zu Hilfe gekommen. Ganz im Gegenteil. Jeder von uns wollte die eigene Haut retten. Da haben wir Joseph die heiße Suppe dann allein auslöffeln lassen. In Wirklichkeit waren wir bei dem Einbruch in die Villa Calvin.
„Halt die Klappe!“ zischte Percy Coogan erbost. „Muß das jeder wissen? Ich bin glücklich, daß uns das Gericht damals nicht auf die Schliche kam. Und da fängst du nun an und willst alles ausplaudern, he?“
„Wenn er aber wirklich lebt“, ächzte Jack Potter bedrückt. „ Er wird es uns nicht anders machen als Oliver Bloom. Wir sind Verräter in seinen Augen. Wir haben ihn in die Hände des Henkers gespielt.“
„Nun ist aber Schluß“, schrie Percy Coogan aufgebracht. Sein hageres Gesicht rötete sich vor Zorn. Die behaarten Hände schlossen sich zu Fäusten.
„Ich will nichts mehr davon hören, verstanden? Mit solchen Gespenstergeschichten könnt ihr Kinder erschrecken, aber nicht mich.“
Er wollte nach seinem Glas greifen, aber seine Hand kam unsicher zurück. Verblüfft schaute er auf. Vor ihm stand ein schlanker Mann in braunem Ledermantel. Es war Hilfsinspektor Kirk.
„Was wollen Sie von uns, Sir?“
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