Der Mann, der zweimal starb Kommissar Morry
verlieren.“
Evelyn Bloom begriff plötzlich die Welt nicht mehr. Sie sah die dicke Mrs. Brown am Ladentisch stehen, die ihrem Mann davongelaufen war und zwei uneheliche Kinder hatte. Und sie sah den Bäckermeister, von dem die Rede ging, er hielte es mit jedem Dienstmädchen. Sie alle waren ehrenwerte Leute. Nur sie, Evelyn Bloom, war plötzlich verfemt und verachtet. Niemand wollte noch etwas mit ihr zu tun haben. Ihr Name hatte neben dem eines hingerichteten Mörders gestanden. Diese Tatsache genügte, um sie für immer zu verdammen. Es hätte der Kündigung gar nicht bedurft, dachte sie, als sie wieder auf der Straße stand. Ich werde freiwillig Weggehen aus dieser Gegend. In einem anderen Stadtviertel kennt man mich nicht. Und die Leute vergessen rasch. In ein paar Wochen wird sich niemand mehr an mich erinnern. Sie kehrte in ihre Wohnung zurück, bereitete sich einen Tee und aß altes Gebäck dazu. Als sie den Tisch abgeräumt hatte, läutete es plötzlich an der Tür. Evelyn Bloom verzog das Gesicht zu einem bitteren Lächeln. Welch ein Wunder, dachte sie, daß noch jemand zu mir kommt. Vielleicht ist es ein Ahnungsloser, der noch nicht weiß, daß ich wie eine Aussätzige gemieden werde. Sie täuschte sich. Der Mann, der vor der Tür stand, wußte besser Bescheid als alle anderen. Es war Hilfsinspektor Kirk. Er drängte ungeduldig hinter ihr in die Wohnung. Auch sein Benehmen war seltsam verändert. Gestern hatte er sich ihr gegenüber noch hilfsbereit und ritterlich gezeigt. Heute war sein Gesicht kühl und verschlossen. Er ging ins Schlafzimmer. Er forderte sie auf, mitzukommen. Vor dem Fenster, an dem man Oliver Bloom gefunden hatte, blieb er grübelnd stehen. Von der Katastrophe, die sich hier ereignet hatte, war keine Spur mehr zu sehen. Und dennoch lag noch immer ein düsterer Hauch über dieser Stätte. Evelyn Bloom war dem Hilfsinspektor scheu bis zum Fenster gefolgt. „Sagen Sie mir bitte die Wahrheit, Sir“, murmelte sie mit gesenktem Gesicht. „Ist Oliver wirklich ermordet worden? Oder hat sich diese Annahme als ein Irrtum herausgestellt? “
Kirk schüttelte den Kopf. „Es war kein Irrtum“, sagte er streng. „Es steht hundertprozentig fest, daß Ihr Gatte das Opfer eines Mörders wurde. Der Täter hat seine Fingerabdrücke am Fenster hinterlassen. Wir wissen nun sogar, von wem diese Abdrücke stammen.“
„Von wem?“ fragte Evelyn Bloom atemlos.
„Von Joseph Hattan.“
Evelyn Bloom stützte sich taumelnd an der Wand fest. Ihr Gesicht hatte die letzte Farbe verloren. Aus .angstgeweiteten Augen stierte sie auf die Fensterscheiben.
„Wovor fürchten Sie sich denn?“ fragte Hilfsinspektor Kirk mit bissigem Lächeln. „Vor Joseph Hattan etwa? Warum denn, Madam? Sie hatten doch nie Angst vor ihm. Ein Mann, mit dem man viele Nächte zusammen war, ist einem doch vertraut, nicht wahr? Auch wenn er am Galgen sterben mußte.“
„Sterben mußte“, wiederholte Evelyn Bloom mechanisch. „Ist er tot, Sir? Oder lebt er noch?“ Hilfsinspektor Kirk überhörte die Frage. Er sah sie auch nicht an. Er vermied es auffallend, ihr ins Gesicht zu blicken.
„Eines steht fest“, murmelte er schließlich, „Ihr Mann hat damals Joseph Hattan an uns verraten. Das dürfte die Ursache für seine Ermordung gewesen sein.“
Nach kurzer Pause fragte er: „Kannten Sie die Freunde Joseph Hattans? Sind Sie öfter mit ihnen zusammengekommen?“
Evelyn Bloom zögerte mit der Antwort. „Ich weiß nur, daß diese Freunde immer in der Sidney Bar am Hoxton Gate zusammenkamen. Den einen oder den anderen habe ich vielleicht auch gesehen, vielleicht auch einmal ein Wort mit ihnen gewechselt. Aber ich erinnere mich nicht mehr an sie. Ich habe auch ihre Namen nicht behalten.“
„Diese Aussage werden wir noch zu Protokoll nehmen“, murmelte Hilfsinspektor Kirk. „Es liegt nämlich der Verdacht nahe, daß Sie diesen Männern Ihre Hand zu einem Schurkenstreich reichten.“
„Wie meinen Sie das?“ fragte Evelyn Bloom verstört.
„Nun, vielleicht haben die Freunde Joseph Hattans beschlossen, den schimpflichen Tod Joseph Hattans an dem vermeintlichen Verräter zu rächen. Vielleicht setzten sie sich mit Ihnen ins Benehmen. Es wäre doch möglich, daß Sie die Mörder heimlich in die Wohnung einließen.“
„Was reden Sie denn da?“ fuhr Evelyn Bloom gepeinigt auf. „Das alles ist doch Wahnsinn. Ich wollte, ich hätte meinen Mann retten können.“
„Seltsam, daß Sie nichts von dem nächtlichen Besuch
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