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Der Mann, der zweimal starb Kommissar Morry

Der Mann, der zweimal starb Kommissar Morry

Titel: Der Mann, der zweimal starb Kommissar Morry Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans E. Koedelpeter
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nicht lange. Er ging nach oben. Wachsam nahm er Stufe um Stufe. Die Rechte schloß sich um den Schaft der Pistole. Wenn es wirklich Joseph Hattan ist, überlegte er, so sitzt er diesmal in der Falle. Er weiß nicht, daß ich ihn erkannt habe. Diesmal habe ich die besseren Trümpfe in der Hand. Er ging leise durch den oberen Korridor. Der weiche Läufer erstickte seine Schritte. Völlig lautlos pirschte er sich an den Privatsalon heran. Vor der Tür blieb er zwei, drei Sekunden lang stehen. Er spannte die Muskeln und entsicherte die Waffe. Dann legte er die Hand auf die Klinke. Im nächsten Moment riß er ruckartig die Tür auf. Blitzschnell griff er nach dem Lichtschalter. Es wurde hell in dem altertümlich eingerichteten Raum. Stanley Calvin hob die Pistole. Dann erst schob er sich geduckt über die Schwelle. Die schwere Tür diente ihm als Kugelfang. Seine Blicke wanderten durch den Raum. Rasch und wachsam. Vor dem Tresor stand ein Mann in dunklem Trenchcoat. Er trug einen Hut mit auffällig breiter Krempe. Hohe Schaftstiefel glänzten matt im Licht der Lampe. Das Gesicht des Fremden war Stanley Calvin so vertraut, als hätte er es erst gestern gesehen. Es war damals in allen Zeitungen abgebildet gewesen. Am Tag der Hinrichtung hatte es auf den Titelseiten aller Tagesblätter geprangt. In diesem Moment war es wie versteinert. Es sah grau und alt aus. Die Augen liefen gehetzt und unstet hin und her. Die Lippen waren zu einem blutleeren Strich verkniffen.
    „Also doch, Joseph Hattan“, murmelte Stanley Calvin zwischen den Zähnen. „Nehmen Sie die Hände hoch. Die Waffe ist entsichert. Ich schieße ohne jede Warnung...“
    Joseph Hattan nahm langsam die Hände hoch. Er sprach kein Wort dabei. Sein Gesicht verfiel von Sekunde zu Sekunde. Stanley Calvin hielt die Pistole noch immer auf die Brust des verstörten Mörders gerichtet.
    „Was wollten Sie hier?“ fragte er schneidend.
    Keine Antwort. Über die Lippen Joseph Hattans kam kein Laut. Gehorsam hielt er die Hände über dem Kopf verschränkt.
    „Gehen Sie langsam an die Tür“, befahl Stanley Calvin mit harter Stimme. „Lassen Sie die Hände oben. Ich schieße bei der ersten verdächtigen Bewegung.“
    Geistesabwesend und mechanisch wie ein Automat ging Joseph Hattan auf die Tür zu. Sein Gesicht war wie eine eingefrorene Maske. Er behielt die Hände oben. Anscheinend hatte er mit allem abgeschlossen. Er schien zu wissen, daß es diesmal keine Rettung mehr für ihn gab.
    „Gehen Sie langsam vor mir her“, befahl Stanley Calvin. „Wenn Sie stehenbleiben, knallt es. Das gleiche passiert, falls Sie flüchten wollten.“
    Joseph Hattan ging unendlich langsam die Treppe hinunter. Er nahm Stufe um Stufe. Sein Kopf war gesenkt, die Augen stumpfsinnig auf den Boden geheftet.
    Am Fuße der Treppe blickte er sich zögernd um.
    „Gehen Sie in Richtung der Tür“, befahl Stanley Calvin. Er ging hart an der Wand entlang. Und dann passierte es plötzlich. Eine blitzschnelle Bewegung des Gefangenen, ein hastiger Griff zum Lichtschalter. Noch ehe Stanley Calvin zum Schuß kam, breitete sich nachtschwarze Finsternis in der Halle aus. Die Dunkelheit hing wie ein Sack über der Halle. Man konnte nicht einmal die Hand vor den Augen sehen. Dann strich plötzlich ein kalter Luftzug durch den weiten Raum. Die Tür war geöffnet worden. Irgendwo entfernten sich gehetzte Schritte. Stanley Calvin machte Licht. Enttäuscht und grimmig blicke er auf seine Waffe nieder. Er war dem Mörder näher gewesen als je ein Mensch zuvor. Und dennoch hatte das Abenteuer mit einem Fiasko geendet. Niedergeschlagen starrte er auf den Lichtschalter, der einen Mörder in letzter Sekunde gerettet hatte.
    „Ein ganz simpler Trick“, murmelte Stanley Calvin deprimiert. „Ich bin ahnungslos darauf hereingefallen. Das hätte nicht passieren dürfen.“
    Er ging mißmutig zum Telefon, um Scotland Yard von den letzten Ereignissen zu unterrichten. Er wollte schon den Hörer abnehmen, da überlegte er es sich wieder anders. Er faßte den Entschluß, sich auch in Zukunft nur auf sich selbst zu verlassen, trotz der Niederlage, die er eben erlitten hatte.
     
    12
     
    Es war in der nächsten Nacht. Die Sidney Bar am Hoxton Gate schloß pünktlich um zwei Uhr ihre Pforten. Die letzten Zecher wurden unsanft aus dem Lokal verwiesen.
    Nadja Orban räumte noch auf und band dann ihre weiße Schürze ab. Sie war fertig. Ein langer, arbeitsreicher Tag lag hinter ihr. Kein Wunder, daß sie Sehnsucht nach ihrem

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