Der Mann, der zweimal starb Kommissar Morry
warmen Bett hatte.
„Ich würde mir an Ihrer Stelle eine Taxe nehmen“, rief ihr der Kellner nach. „Es regnet. Bei diesem Wetter jagt man keinen Hund auf die Straße.“
„Keine Angst!“ lachte Nadja Orban. „Ich bin nicht wasserscheu. Regen verschönt die Haut, sagt man. Ich werde also zu Fuß gehen. Gute Nacht!“
Sie verließ die rauchige Bude und trat auf die Straße hinaus. Versonnen blickte sie zu dem schiefergrauen Nachthimmel auf. Der Regen wäre gar nicht so schlimm gewesen, aber der Wind peitschte ihr eisigkalt entgegen. Er drang durch Mantel und Kleider. Trotzdem, sagte Nadja Orban still bei sich. Was schadet das schon! In spätestens fünf Minuten bin ich zu Hause. Sie hatte noch keine zehn Schritte getan, da blieb sie ruckartig stehen. Ein Mann kam hinter den grauen Regenwänden auf sie zu. Es war Percy Coogan. Er stellte sich ihr trotzig in den Weg.
„Ich werde mit dir heimgehen“, sagte er wortkarg. „Es nützt gar nichts, wenn du mich vertreiben willst. Ich bleibe hartnäckig an deiner Seite.“
Nadja Orban verhielt den Schritt. Empört strebte sie zur Seite. „Scher dich weg!“ fauchte sie gereizt. „Ich finde meinen Weg auch allein. Wüßte nicht, was wir beide zu besprechen hätten. Es sei denn, du wolltest deine Schulden bei mir bezahlen.“
„Ach, so ist es?“ brummte Percy Coogan spöttisch. „Daher weht der Wind. Was regst du dich auf? Hast du nicht immer alles bekommen? Bis auf den letzten Penny?“
Nadja Orban sagte nichts mehr. Sie hatte keine Lust, viele Worte an diesen schäbigen Burschen zu verschwenden. Es ärgerte sie ohnehin, daß er wie ein Straßenköter neben ihr herlief.
„Du wirst dein Geld bekommen“, stieß Percy Coogan heiser durch die Zähne. „Ich glaube, daß ich in ein paar Tagen ein reicher Mann bin. Es hängt doch alles nur vom Pulver ab. Auch du wirst dich dann von einer anderen Seite zeigen.“
„Nein“, sagte Nadja Orban herb. „Ich nicht. Ich kann dich nicht ausstehen. Dabei bleibt es.“
„Joseph Hattan wäre dir als Begleiter lieber, wie?“ höhnte Percy Coogan. „Bei ihm wärst du nicht so widerspenstig.“
Nach einer Weile sagte er: „Vielleicht kommt Joseph noch zu dir. Er soll sehr anhänglich sein. Er besucht alle seine früheren Geliebten wieder. Bei Evelyn Bloom war er schon. Er hat sie ermordet. Man fand sie tot in einem Neubau am Hoxton Gate.“
„Hör bitte auf“, sagte Nadja Orban gequält. „Ich will nichts mehr von diesen Dingen hören. Und wenn es dich beruhigt, so möchte ich dir sagen, daß ich Joseph Hattan genauso wenig leiden kann wie dich.“
Sie kamen vor dem Haus an, in dem Nadja Orban wohnte. Es war ein schlichtes Backsteingebäude mit vielen Parteien. In der obersten Etage gab es Einzelzimmer für alleinstehende Frauen.
„Ich komme mit hinauf“, sagte Percy Coogan hastig. Er drängte sich neben ihr zur Tür, und wollte geschmeidig in den Flur huschen. Aber Nadja Orban war noch rascher als er. Sie warf ihm die Tür vor der Nase zu. Er hörte noch eine Weile ihr spöttisches Lachen. Dann entfernten sich ihre Schritte im Hausflur. Nadja Orban ging die Treppe hinauf und öffnete ihr Zimmer. Sie war müde wie nie zuvor. Der Regen hatte sie bis auf die Haut durchnäßt. Sie sehnte sich nach ihrem weichen Schlafanzug und nach den molligen Federn des Bettes. Aber gerade als sie ihren Mantel ausziehen wollte, fiel ihr ein, daß sie vergessen hatte, einen dringenden Brief in den Kasten zu werfen. Was blieb ihr anderes übrig, als noch einmal umzukehren und zum nächsten Briefkasten zu gehen. Kurz entschlossen schlug sie die Kapuze ihres Mantels hoch. Sie ging wieder die Treppe hinunter. Im Hausflur zögerte sie eine Weile. Sie blickte erst durch die vergitterten Scheiben der Tür, bevor sie aufsperrte. Erleichtert stellte sie fest, daß sich Percy Coogan inzwischen entfernt hatte. Es war nichts mehr von ihm zu sehen. Eintönig gurgelte der Regen in den Rinnsteinen. Nadja Orban öffnete die Tür und trat hastig auf den Gehsteig hinaus. Sie hatte nicht besonders weit zu gehen. Der Briefkasten befand sich an der nächsten Straßenecke. In zwei Minuten hatte sie die kurze Strecke geschafft. Sie warf den Brief in den Schlitz und überzeugte sich noch gewissenhaft davon, ob er auch wirklich in den Kasten gefallen war. Als sie sich zum Rückweg wandte, traf plötzlich eine heisere Stimme an ihr Ohr.
„Hallo, Nadja? Warte einen Augenblick!“
Nadja Orban blieb wie angewurzelt stehen Ihr Herz setzte jählings aus
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