Der Mann, der's wert ist
dunklen
Mandelaugen von unserem Streifenkuchen zum Marmorkuchen und jammerte: »Ich
wissen, wie machen, aber nicht wissen, was machen.«
Tanja zeigte auf mich und sagte
schadenfroh: »Und du wissen, was machen, aber nicht wissen, wie machen.«
Weil frischer Marmorkuchen
nicht so gut schmeckt, er muß mindestens vierundzwanzig Stunden ablagern,
durfte jeder ein Stück Marmorkuchen und ein Stück Streifenkuchen mit nach Hause
nehmen. Zum Abschluß verkündete Carola, daß in der nächsten Woche der Kurs
ausfällt, weil in der Schule der Schulball stattfindet.
»Hurra, die Schule fällt aus«,
rief Wolfram.
An diesem Freitag konnte ich
unbeschwert mit in die Kneipe, Rufus hatte mir meinen Wochenlohn ausbezahlt,
ich fühlte mich reich und zufrieden. Nur Tanja, Rufus, Michael und ich gingen
in die Rothschild-Kaschemme: Felix war wieder vorm Geschirrspülen abgehauen, um
seine Tochter bei einer Freundin abzuholen. Wir vermuteten, daß es eine
Freundin von Felix war, nicht der Tochter. Die Apotheker-Clique wollte lieber
in eine andere Kneipe, die >Der Wilde Oscar< hieß. Das sei einwandfrei
eine Schwulen-Kneipe, flüsterte mir Tanja zu.
Sie verwickelte Rufus in eine
Diskussion über die Krisen der internationalen Finanzmärkte. Ich versuchte, mit
Michael in ein Gespräch zu kommen. Aber seine Konversation bestand nur aus
Geschimpfe über die Unmöglichkeit, in dieser Stadt über Kultur zu schreiben. Es
gebe nämlich keine. Deshalb sei seine Redaktion in der Verzweiflung auf die
Idee gekommen, über die Kochkultur dieser Stadt zu schreiben, und ausgerechnet
an ihm sei der Scheißjob mit dem Anfängerkurs hängengeblieben, andere dürften
Spesenritterlokale testen. Dabei starrte er abwechselnd in die Ferne und in
sein Bier. Ich hörte Tanja sagen: »Außerdem hab ich gehört, du bist
Saurierforscher.« Und ehe Rufus etwas dazu sagen konnte, fragte sie: »Wie alt
bist du?«
»Seit einem Monat dreißig.«
»Na so was, ich bin auch seit
einem Monat dreißig«, rief Tanja. »Und warst du mal verheiratet?«
»Nein. Und du?« fragte Rufus
zurück.
»Ich auch nicht. Hast du eine
Freundin?«
»Nein. Und du?«
»Nein.« Dann kam das Gröbste —
Tanja fragte: »Warum nicht?«
Aber Rufus antwortete sofort:
»Wir haben uns getrennt wegen Unvereinbarkeit der Lebensplanung.«
»Das kann jeder sagen.«
»Meine Ex-Freundin wollte
zuerst ein Kind haben und dann weitersehen, was aus unserem Leben wird. Ich
wollte zuerst wissen, was aus unserem Leben wird. Ich hatte keine Angst, daß
die Weltbevölkerung in der Zwischenzeit ausstirbt.«
Tanja lächelte wie jemand, der
ein Los gezogen hat, es aufwickelt, und es ist keine Niete. Aha, er ist also
nicht schwul. Dann fragte sie: »Hast du Geschwister?«
»Ich beantworte alle deine
Fragen, aber kannst du mir verraten, wie du jetzt darauf kommst?«
»Ich hab die Theorie, daß Leute,
die Geschwister haben, eher Kinder wollen als Einzelkinder.«
»Ich hab die Theorie nicht«,
sagte Rufus. »Ich hab eine Schwester, aber ich bin als Einzelkind aufgewachsen.
Was schließt du daraus?«
Sie schloß nichts daraus, sie
strahlte Rufus an: »Ich bin auch ein Einzelkind.«
»Wieder eine Gemeinsamkeit an
den Haaren herbeigezogen«, sagte Michael, »spielt ihr Liebespaar?«
»Und was machen deine Eltern?«
fragte Tanja unbeirrt weiter.
»Sie kamen bei einem Autounfall
ums Leben.«
»Oh«, Tanja strich sich mitfühlend
eine Haarsträhne hinters Ohr.
»Willst du nicht wissen,
warum?«
Unwillkürlich mußte ich lachen.
Manchmal ist Rufus ganz anders, als er aussieht. Viel witziger. Obwohl Tanja
nicht antwortete, erzählte Rufus: »Sie kamen gerade vom Scheidungsanwalt, sie
haben sich gestritten — man weiß das, weil sie sich immer gestritten haben — ,
das Auto kam von der Straße ab, Böschung runter, verbrannt. Meine Mutter war
sofort tot, mein Vater starb einen Tag später im Krankenhaus. Ich hab ihn nicht
mehr gesehen. Und der Pfarrer sagte bei der Beerdigung: >So hat sich auf
wunderbare Weise Gottes Wille erfüllt, so hat sie doch der Tod geschieden.<
— Ich fand das ziemlich rechthaberisch von dem Pfarrer.«
»Das muß schrecklich für dich
gewesen sein«, Tanja strich noch mal mitfühlend die Haarsträhne hinters Ohr.
»Nein. Meine Eltern waren
schrecklich. Sie haben nur miteinander geredet, um zu streiten. Ich bin sofort
nach dem Abitur nach Hamburg zu meiner Schwester gezogen, um möglichst weit von
ihnen weg zu sein.«
»Meine Eltern sind auch
geschieden«, sagte
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