Der Mann, der's wert ist
Tanja.
»Eine weitere wundervolle
Gemeinsamkeit«, sagte Michael gähnend, »ich darf mich jetzt verabschieden.«
»Wir reden noch ein bißchen
miteinander«, sagte Tanja, und Rufus nickte froh.
»Ich muß auch gehen«, sagte ich
und stand auf. Wenn Tanja Interesse hatte an einem Saurierforscher mit
zusammengewachsenen Augenbrauen und Bärten, an einem Mann, der sein Leben als
Mädchen für alles in einem Hotel fristete, dann wollte ich nicht stören.
Vor der Tür der
Rothschild-Kaschemme sagte Michael: »Was findet er nur an ihr?«
Erstaunt sah ich Michael an:
»Was findet sie nur an ihm? Nur weil er nicht schwul ist?« — Gleich darauf war
es mir peinlich, das gesagt zu haben, vielleicht war ja Michael schwul, aber er
reagierte nicht darauf.
»Es wäre mir recht, wenn aus
den beiden was wird«, sagte er mit unterdrücktem Gähnen, »dann hätte ich einen
Aufhänger für meine Story. Wie findest du die Headline: Im Kochkurs lernten sie
küssen?«
»Tanja konnte das schon vorher.
Dann eher: Im Kochkurs lernte er küssen!«
»Ich hab’s«, rief Michael, »Ich
nehm als Headline: Schuld war nur der Marmorkuchen.«
Egal, was Michael schreiben
würde — auch mich würde es freuen, wenn aus Rufus und Tanja was wird. Rufus war
eigentlich sehr nett. Aber trotzdem: Was fand Tanja nur an ihm?
Benedikt kam erst nach
Mitternacht. Er war nach seinem Volleyball-Training auch in der Kneipe gewesen
und war ziemlich betrunken. »Ich hab eine ganze Flasche Champagner geleert.«
»Champagner nach dem
Volleyball?«
»Einer hatte Geburtstag.«
Als ich ihm meinen
Streifenkuchen zeigte, lachte Benedikt wie verrückt: »Wahnsinn, was man alles
für’n Quatsch macht im Leben!«
»Mein Kuchen ist kein Quatsch«,
sagte ich leicht beleidigt.
48. Kapitel
Als ich am Sonntag Mercedes das
Geld für die Miete überreichte, sagte sie, es wäre ihr lieber, wenn ich es
künftig per Dauerauftrag überweise, es sei ihr nämlich peinlich, jedesmal darum
bitten zu müssen! Und als ich ihr sagte, daß ich ihr in Kürze — ich sagte, wenn
mein Vater wieder Geld geschickt hätte — auch die gestundete Miete samt Zinsen
zurückgeben könnte, sagte sie arrogant: »Ich glaube nicht, daß das noch wahr
wird.«
Na, warte, dachte ich. Nun
hatte ich wieder Geld. Nun war ich wieder wer. Nun würde ich es Mercedes
heimzahlen.
Beim Mittagessen berichtete
Mercedes, sie sei letzte Woche mit ihrem Herzallerliebsten im allerfeinsten
Restaurant gewesen, man habe Austern gespeist. »Austern sind ein
Aphrodisiakum«, sie kicherte verlogen, »falls ihr wißt, was das ist.«
»Das ist ein Mittel zur
Stärkung der Liebeskraft des Mannes«, rief Nora, als hätte sie eine
Kreuzworträtselfrage gelöst.
So nebenbei wie möglich sagte
ich: »Schade, daß er da nie Zeit hat, einen Abend mit dir zu verbringen.«
Zuerst blieb ihr die Luft weg.
Dann rief sie: »Wie kommst du zu dieser Unterstellung?!«
»Wir würden deinen ständigen
Verehrer gerne mal kennenlernen«, sagte Benedikt.
Ich wollte gerade sagen: Man
glaubt ja nicht, daß das noch wahr wird...
...da sagte Mercedes: »Bitte,
bitte, ich lade euch zu mir ein, da könnt ihr ihn kennenlernen. Nächste Woche
oder spätestens in zwei Wochen.«
Vor Verblüffung fiel mir der
Löffel ins Birnenkompott. Dann packte mich der Schreck. Was, wenn mich der Mann
aus Zimmer 4 wiedererkannte? Aber dann dachte ich: Abwarten. Warum sollte das
noch wahr werden?
49. Kapitel
Rufus und Tanja waren
Freitagabend noch bedeutend länger in der Rothschild-Kaschemme geblieben und
dann mit dem Taxi zurückgefahren. Und Samstag hatten Tanja und Rufus gemeinsam
ihre Autos geholt und bei der Gelegenheit hatte Tanja das Hotel besichtigt.
Rufus erzählte den Ablauf des Treffens, als müßte er beweisen, daß er sich mit
Tanja nur zu moralisch einwandfreien Zeiten und Zwecken im Hotel aufgehalten
hatte. Täuschte ich mich, oder wehte Frühlingsluft durch die muffige
Hotelhalle? Nein, es war nicht der Frühling, es war Rufus’ After Shave. Wo er
sich rasiert hatte, war allerdings nicht festzustellen. Und er trug ein
unsägliches lachsrosa Hemd zu einer grünen Kordhose.
Und Tanja hatte gesagt, wäre
sie auf Hotelsuche, würde sie ohne zu zögern, am Hotel Harmonie vorbeifahren
und was anderes suchen. Dieses Hotel sei eine Bruchbude. »Ich finde, Tanja ist
sehr intelligent und sehr elegant. Für mich hat Eleganz immer auch mit
Intelligenz zu tun«, sagte Rufus.
Platt vor Staunen über Rufus’
durchdachte
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