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Der Mann, der's wert ist

Der Mann, der's wert ist

Titel: Der Mann, der's wert ist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Heller
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Hautfarbe
undsoweiter, das einzig Wichtige wäre eine gute Bildung, erkennbar an einem
soliden Hochschulabschluß. Dabei hat sie selbst nur zwei Semester studiert.«
    »Hast du Hochschulabschluß?«
    »Sonst dürfte ich ja nicht der
offizielle Geschäftsführer dieses Etablissements sein.«
    »Du bist Geschäftsführer?!«
    »Ja, deshalb bin ich für alles
zuständig.«
    »Warum hast du mir erzählt, du
wärst Mädchen für alles?«
    »Weil ich finde, daß sich
Geschäftsführer etwas zu großartig anhört für dieses Etablissement. Aber
Mädchen für alles stimmt genau. Außerdem mach ich das erst seit einem Jahr,
seit der frühere Geschäftsführer in Pension ging, und ich will nicht für alle
Ewigkeit hier Geschäftsführer mimen.«
    »Was hast du studiert?«
    »Ich bin diplomierter
Landwirbeltier-Paläontologe.«
    »Was ist denn das?«
    »Populär gesprochen bin ich
Dinosaurierforscher.« Rufus grinste, er hatte schöne Zähne zwischen seinen
häßlichen Bärten. »Wozu braucht man in einem Hotel ein Diplom für
Dinosaurierforschung?«
    »Keine Ahnung.« Nun sah Rufus
wieder so depressiv aus wie üblich, »ich interessiere mich eben für große
Fossilien.«
    Ich begann, das Waschbecken zu
putzen, um nicht nur staunend rumzustehen. »Und was willst du dann machen?«
    »Auch keine Ahnung. Es gibt
kaum Jobs für Paläontologen, höchstens an der Uni. Und die Ausgrabungsstätte,
an der ich arbeiten wollte, wurde zur Mülldeponie erklärt. Da hab ich dann
diesen Job angenommen. Und jetzt verschiebe ich den Problembrocken meines
Lebens von einem Tag zum nächsten.« Sprachlos sah ich auf den Abfluß des
Waschbeckens. Würde ich auch so lange an einem Job hängenbleiben, den ich gar
nicht wollte? »Nein«, sagte ich zu mir selbst und schüttelte den Kopf. »Reden
wir von was anderem«, sagte Rufus.
    Um von was anderem zu reden,
sagte ich: »Es wäre praktisch, wenn ich einen Servierwagen hätte, mit dem ich
das Putzzeug und die Wäsche von Zimmer zu Zimmer fahren könne, statt ständig in
den Putzraum zu laufen. Und ich könnte die Zahnputzgläser sammeln und unten in
der Spülmaschine spülen.«
    »Wenn ich darüber nachdenke,
was man hier alles effizienter machen könnte, fällt mir soviel ein, daß mir die
Lust vergeht«, sagte Rufus lustlos. »Wo soll man anfangen?«
    »Irgendwo fängt man eben an.«
    »Solange hier nicht alles
zusammenbricht, lassen wir es, wie es ist. Und wenn alles zusammengebrochen
ist, wird sich von allein die große Lösung finden.«
    »Auf die große Lösung zu
warten, ist, als ob man auf die Million im Lotto wartet.«
    »Wer wartet, hat noch
Hoffnung«, sagte Rufus und ging.
    Wütend sah ich ihm nach: Wenn
man irgendwo anfangen kann, ist es nicht nötig zu warten. Mein Blick fiel auf
einen Stuhl neben der Tür, ein schöner dunkler Holzstuhl, dessen Polstersitz ebenfalls
mit Herrn Hedderichs widerlicher Plastikfolie verschandelt war — ich setzte
mich aufs Bett, löste mit einem Faustschlag von unten das Polster vom Stuhl.
Wie vermutet, war die Plastikfolie nur mit Heftklammern angetackert. Ich zog an
einer Kante der Folie. Die Klammern hielten so schlecht in dem Holz, daß ich
sie mit der Folie abreißen konnte. Ich riß die zweite Kante auf. Unter dem
Plastik war ein hellgelber Chintzstoff mit Biedermeierstreifen. Begeistert riß
ich die dritte Kante ab, die vierte, und erstarrte. In der Mitte des Polsters
strotzte ein dunkelschwarzer Fleck. Entsetzt legte ich die Folie wieder drauf.
Aber ohne es zu wollen, mußte ich den Fleck noch mal ansehen, so gräßlich war
er: getrocknetes Blut. Ich wußte sofort, was für eine Art Fleck es war — hier
hatte eine Frau gesessen, hatte sich vielleicht die Haare gefönt, Illustrierte
gelesen und hatte plötzlich, unerwartet ihre Tage bekommen. An einer Stelle war
der Fleck verschmiert — ein verzweifelter Versuch, die Peinlichkeit zu beseitigen.
Schon der Anblick war peinlich. Und die Angst, daß mir so was auch irgendwann
passieren könnte. Das war die Strafe dafür, daß ich meinen Vorsatz gebrochen
hatte, daß ich mich benommen hatte, als sei ich hier Innenarchitektin.
Zimmermädchen war ich hier und hätte jubeln sollen über jeden Plastikbezug, bei
dem solche Flecke mit einem Wisch verschwinden. Ich schlich hinunter in Herrn
Hedderichs Refugium, holte den Tacker, heftete die Folie wieder an und schwor:
»Nie wieder will ich aus meiner Rolle fallen.«
    Die Geschichte war so peinlich,
daß ich sie nicht mal Benedikt erzählte. Aber natürlich

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