Der Mann, der's wert ist
ausziehen können, ohne daß jemand etwas
gemerkt hätte. Ich packte meine schwarzen Wildlederpumps in meine gute
Plastiktüte, zog meine Putzjeans und meinen Putzpulli an, räumte das Geschirr
aus dem Frühstücksnebenraum in die Geschirrspülmaschine, schlich hinauf in den
dritten Stock und begann zu putzen.
Ein Arschloch hatte wieder ins
Waschbecken gepinkelt und nicht mal die Spritzer weggewischt. Und kein
Trinkgeld.
Erst spät am Nachmittag, als
ich mich hinuntergeputzt hatte bis Zimmer 3 im ersten Stock, kam Rufus zu mir.
Er setzte sich in den zerfransten Clubsessel.
»Ich hab die Kalkulation
durchgesehen. Er hat für seine Marmorsäule und die Marmorzacken
zweihunderttausend Mark veranschlagt. Ich muß Bärbel recht geben, das ist
überflüssiger Wahnsinn.«
Ich mußte Benedikt in Schutz
nehmen. »Die Säule und die Zackenwände braucht man für die Statik. Benedikt hat
das ganze Haus entkernt.«
»Warum? Das ist alles zuviel
Aufwand für zwei kleine Zimmer zusätzlich. Außerdem hat er vergessen, die
Kosten für die Fassadenrenovierung und die Inneneinrichtung anzugeben.«
Hatte er das wirklich
vergessen? Oder hatte er diese Kosten nicht angegeben, weil sie so variabel
waren? Ich sagte nur: »Hat er bestimmt nicht mit Absicht gemacht, er ist
unheimlich im Streß, er hat zur Zeit Familienprobleme.«
Rufus wollte nicht mehr über
Benedikts Probleme wissen, er sagte nur: »Ob drei oder vier oder fünf Millionen
rauskommen — darauf kommt es nicht mehr an.«
»Und jetzt? Meinst du, es gibt
noch Hoffnung?«
»Hoffnung gibt es immer, sagt
Tanja, Hoffnung gibt es gratis.« Rufus lachte. »Vielleicht regt sich ja Bärbel
wieder ab. Kommt drauf an, was ihr Mann sagt. Möglicherweise verkauft sie jetzt
das Hotel.«
»Meinst du, sie will es
überhaupt nicht mehr renovieren lassen? Und was wird aus dir, wenn sie das
Hotel verkauft?«
Rufus strahlte geradezu: »Ich
find’s nett, daß du an meine Zukunft denkst.«
»Na ja.« Er konnte einem auch
leid tun.
Als er weg war, hätte ich fast
wieder geheult.
Ehe ich nach Hause fuhr, rief
ich aus einer Telefonzelle Benedikt im Auto an. Er kroch im Stau und war
genervt. Und seine Mutter hatte auch schon angerufen und hatte sich furchtbar aufgeregt
wegen des geplatzten Projekts. Und er hätte ihretwegen fast eine
Massenkarambolage verursacht. Meine Markstücke klackerten im Eiltempo durch.
Ich mußte mich kurz fassen. Als ich ihn fragte, ob er sich noch mal überlegt
hätte, einen billigeren Entwurf zu machen, sagte er: »Die Sache ist für mich
abgehakt. Es sei denn, der Faber sagt zu allem ja und amen.«
»Soll ich mit Onkel Georg
reden?«
»Bitte hab Verständnis«, rief
Benedikt, »ich muß mich auf den Verkehr konzentrieren, du bist schuld, wenn ich
einen Auffahrunfall mache. Tschüs!«
Zum Glück fand ich noch ein
Fünfzigpfennigstück, das sollten nicht Benedikts letzte Worte sein — »ich freu
mich, bis ich dich Sonntag wiedersehe«, sagte ich, »und ich bin gespannt, was
du von deinem Vater erzählst. Grüß ihn von mir. Mach’s gut.« Ich hörte noch
Benedikt sagen: »Ich...«
...klack, da war mein letztes
Geldstück weg.
Zu Hause saß Nora wie üblich
vor dem Fernseher, die Wohnzimmertür war nur angelehnt, obwohl sie mich
natürlich hatte kommen hören, tat sie, als hätte sie mich nicht gehört, und ich
wollte sie auch nicht sehen. Ich schlich an der Tür vorbei, hinauf in mein
Zimmer, legte mich in unser Bett und überlegte, wie meine Zukunft aussehen
könnte.
64. Kapitel
Ich würde meine Träume nicht aufgeben.
Nur vielleicht die Wege zu ihrer Realisierung ändern.
Manchmal, wenn man die Dinge
sehr sorgfältig betrachtet, stellen sich die zweitbesten Lösungen als die
besseren heraus. Was wäre, wenn ich mir den Job bei meinem Onkel endgültig
abschminke? Dann könnte ich...
...selbständig das Projekt
machen. Eigentlich konnte Onkel Georg nicht ernsthaft sauer sein, wenn ich
einen Auftrag übernahm, der ihm zu popelig war. Wenn es mir gelang, Frau
Schnappensiep zu überzeugen, wäre ich mit einem Schlag selbständige
Innenarchitektin. Super! Und mit dem Hotel wäre ich mindestens vier Monate
beschäftigt... Und wenn man sich mit einem Projekt bewährt hat, ist es
einfacher, neue Aufträge zu bekommen. Noch dazu, wenn das erste Projekt ein
Hotel war, ein fast öffentliches Gebäude. Und falls ich danach keinen neuen
Auftrag bekommen würde, dann könnten wir...
...selbst ein Haus bauen! Jeder
Architekt baut sich irgendwann
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