Der Mann, der's wert ist
zur Decke:
»Und ich brauche ein Gerüst. Wie Michelangelo werde ich unter der Decke liegen.
Habe ich Ewigkeiten nicht mehr gemacht.«
»Im Hof liegen Teile vom
Fassadengerüst, die bereits abgebaut wurden, unsere Handwerker könnten Ihnen
daraus ein Gerüst fürs Foyer bauen«, sagte Rufus.
Dankbar lachte ich ihn an,
endlich tat er auch was, um diesen Traum zu realisieren.
»Lassen Sie zwei rollbare
Gerüste machen«, sagte Harald Sommerhalter, »eines, auf dem ich liegen, und
eines, auf dem ich stehen kann.«
»Gut«, sagte Rufus. Und zum
Glück sagte er nicht, daß zwei Gerüste zu teuer wären.
»Es gefällt mir, wie engagiert
Sie alles angehen«, sagte Harald Sommerhalter. »Schade, daß wir die Bilder noch
nicht aufhängen können. Ich nehm sie wieder mit, bis es soweit ist. Wann wird
das Gerüst aufgebaut sein?«
»Morgen«, sagte ich.
»Schon morgen?« fragte Rufus.
»Es wird jetzt sofort
aufgebaut«, sagte ich.
»Dann fang ich gleich morgen
an. Rufen Sie mich sicherheitshalber morgen früh an, aber bitte nicht vor elf.«
Er zog aus einem Kroko-Portemonnaie zwei Visitenkarten, sie sahen aus wie
handgeschrieben, in einer schönen Künstlerhandschrift, aber die Handschrift war
gedruckt. Wie raffiniert! Er gab Rufus eine und mir eine und sagte: Ȇbrigens,
wenn wir zusammenarbeiten, sollten wir uns duzen.«
»Ja«, sagte ich glücklich,
genau das hatte ich auch gewollt. »Und ich heiße Rufus«, sagte Rufus.
Harald stand auf: »Ich muß in
mein Atelier zurück. Seit ich mich mit meiner Freundin verkracht habe, wächst
mir der Alltag über den Kopf, es wird mir guttun, mich hier etwas zu
entspannen.« Er betrachtete wieder die Decke: »Das wird eine außergewöhnliche
Erfahrung. Ich werde heute nacht den Himmel studieren und Skizzen machen.«
Wir halfen Harald, die Bilder
zum Auto zu bringen. Rufus sagte kein Wort zu dem tollen Wagen.
Harald winkte, als er wegfuhr,
ich winkte ihm hinterher.
»Ein merkwürdiger Typ«, sagte
Rufus, »es scheint für ihn keinerlei Grenzen zu geben.«
»Wie meinst du das?«
»Ich hatte den Eindruck, daß er
einfach macht, was er will.«
»Findest du das nicht toll?«
sagte ich. »Ich finde ihn toll! Und wie er malt!«
»Vielleicht bin ich nur
neidisch«, sagte Rufus.
Ich überließ Rufus seinen Charakteranalysen
und kümmerte mich um die Gerüste. Die Maler brauchten bis Feierabend, um ein 4
Meter langes Gerüst, auf dem Harald hin- und herlaufen konnte, und ein 2 x 2
Meter großes Gerüst zum Draufliegen zusammenzuschrauben. Einer der Elektriker,
1,83 Meter groß, etwa so groß wie Harald, erprobte stellvertretend für den
Künstler die bequeme Erreichbarkeit des Plafonds. Ich selbst rannte Leiter
rauf, Leiter runter, um die Wände gegen Farbspritzer mit Plastikfolie
abzudecken. Als die Handwerker gingen, war ich noch nicht fertig. Rufus sagte,
das hätte Zeit bis morgen, und die Handwerker sollten es machen, aber ich
sagte, wenn Harald die Decke umsonst malt, dann will ich auch mit meinen
unbezahlten Überstunden umsonst für dieses Werk arbeiten.
Es wurde neun, bis ich endlich
alles perfekt abgedeckt hatte. Draußen war es schon dunkel geworden. Todmüde
schlich ich hinauf in mein Zimmer. Vielleicht machte Harald gerade jetzt
Skizzen vom Nachthimmel? Im Dunkeln stand ich am Fenster. Es war eine Nacht, in
der kein Wind zu spüren war. Es war eine mondlose Nacht. Neumond. Keine einzige
Wolke am Himmel. »Hoffentlich kommt Harald morgen wieder«, war mein letzter
Gedanke, ehe ich einschlief.
91. Kapitel
»Hoffentlich kommt Harald heute
wieder«, war mein erster Gedanke, als ich aufwachte. Und dann merkte ich, daß
es das erstemal seit damals war, daß ich beim Aufstehen nicht zuerst an
Benedikt gedacht hatte oder an die Möglichkeit, Angela könnte bei der Geburt
samt Baby sterben. Ich lachte und wußte nicht, warum. Ich ging hinunter in die
Küche und frühstückte wie üblich mit Rufus. Ihm war nicht aufgefallen, daß
gestern nacht keine Wolken am Himmel waren. Er hatte vermutlich nur auf seinen
Computer gestarrt. Ich redete auf Rufus ein, daß die Wolkendecke das wichtigste
Gestaltungselement überhaupt sei und daß sich Frau Schnappensiep wie in einem
Renaissance-Palazzo fühlen würde, aber Rufus speicherte gar nicht richtig ab,
was ich sagte, mußte schließlich aber wenigstens zugeben, daß er die Bilder von
Harald auch phantastisch fand.
Harald wollte nicht vor elf
angerufen werden. Also ging ich erst mal Prospekte für Bilderlampen
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