Der Mann, der's wert ist
fuhren los.
Es war wieder eine laue,
mondlose Nacht. Harald fuhr zu einem Bistro, man konnte draußen sitzen, und er
bestellte Rotwein und Steaks mit Salat und Backkartoffeln in der Folie. »Die
einfachsten Sachen schmecken am besten«, sagte er.
»Ja.« Und dann mußte ich es
fragen: »Was macht deine Freundin jetzt?«
»Meine Ex-Freundin? Die ist
Kunsthistorikerin bei Sotheby’s. Sie ist Expertin für Malerei des achtzehnten
und neunzehnten Jahrhunderts. Sie weiß alles.«
»Ich meine, was macht sie
jetzt? Hat sie einen neuen Freund?«
»Sie hat sich von mir getrennt,
weil sie zuwenig Zeit für sich hatte oder weil ich zu zeitraubend war. Was soll
sie sich da mit einem neuen Mann belasten?«
»Wie heißt sie?«
»Waltraud.«
Ich konnte mir ein Lächeln
nicht verkneifen — was für ein spießiger Name. »Und wie ist sie so?«
Harald machte ein angewidertes
Gesicht: »Sie ist vollkommen.«
»Vollkommen?«
»Absolut und unerträglich
vollkommen.«
»Malst du sie auf deinen
Bildern?«
»Es ist witzlos, Waltraud zu
malen. Ich kann pro Bild höchstens eine Hand von ihr malen oder den Busen oder
ein Bein. Ihr Gesicht kann man überhaupt nicht malen. Viel zu vollkommen.
Außerdem ist sie blond, und Blondinen wirken vor Wolken immer fade.«
Ich strich mir durch meine
dunklen Haare. Sie waren voller Farbe. Etwas verlegen sah ich Harald an. Er
hatte blaue Augen, blauer als die von Benedikt.
Harald sagte: »Sei froh, daß du
nicht vollkommen bist.«
Ich hatte allen Grund, darüber
froh zu sein.
Harald bezahlte für mich mit,
als sei es die selbstverständlichste Sache der Welt. Er fuhr mich zum Hotel
zurück, als sei es die selbstverständlichste Sache der Welt. Vor der Tür legte
er seine Hand auf meine Schulter: »Viola, wenn das Wolkenwerk vollendet ist,
werden wir ein rauschendes Fest feiern. Und bis es soweit ist, werden wir alle
Kräfte in unsere Arbeit stecken. Ja?«
»Ja«, sagte ich. »Morgen machen
wir weiter. Bis morgen. Schlaf gut. Tschüs.«
Wenn das Wolkenwerk vollendet
ist...
92. Kapitel
Am nächsten Tag kam Harald
wieder gegen Mittag, er war nicht direkt abweisend, aber er interessierte sich
für nichts als Wolken. Er wollte Wolken sehen — aber der Himmel war strahlend
wolkenlos. Er grundierte einige Quadratmeter, dann saß er ungeduldig herum, ich
versorgte ihn mit Kaffee und Pizza und zeigte ihm die Prospekte von den
Bilderleuchten, er wählte die schlichtesten, die allerdings auch die teuersten
waren. Ja, diese Lampen über diesen Bilder würden besser aussehen als alles,
was ich bisher in Erwägung gezogen hatte. War es nicht ein Wink des Schicksals,
daß ich mich, ehe Harald gekommen war, noch nicht festgelegt hatte?
Ich hatte noch ein Problem auf
meiner Liste, bei dem mir Harald helfen konnte: Der Schriftzug »Hotel Harmonie«
mußte neu gestaltet werden. Ich hatte daran gedacht, auf beiden
Schaufensterscheiben den Namen in goldener Schreibschrift anbringen zu lassen,
aber Harald meinte, Schreibschrift wirke zu verspielt, fast unseriös. Er fand
meine andere Idee — Metallbuchstaben über dem Eingang, die von einem Spot
angestrahlt werden — viel besser. Ich fand die Lösung auch besser, nur war sie
auch viel teurer. Ein Kunstschlosser müßte die Buchstaben in Handarbeit
anfertigen und wetterfest vergolden, und man brauchte exakte Vorlagen. Also, in
welcher Schrift?
Harald zeichnete auf seinem
Block >Hotel Harmonie< in diversen Schriftarten, erstaunlich, wie locker
und doch exakt er Buchstaben zeichnen konnte, er zeichnete schmale Buchstaben,
breite, große und kleine, dann entschied er: »Schwere Großbuchstaben müssen es
sein. HOTEL HARMONIE — da muß man sich automatisch ein Ausrufezeichen
vorstellen, da muß Power rein. Der Name ist antiquiert, ein typischer Hotelname
der fünfziger Jahre, damals hat man große Hoffnungen in noch größere Worte
gepackt. Heute wirkt das lächerlich.«
Ja, das fand ich auch.
Rufus kam: »Geht’s gut voran?«
»Überhaupt nicht«, sagte
Harald, »wir warten auf Wolken.«
»Dann wartet mal schön«, sagte
Rufus schlecht gelaunt.
»Wie geht es deinem Computer?«
fragte ich.
»Meine Daten sind
zusammengebrochen«, sagte Rufus und machte ein Gesicht, als wären wir dran schuld.
»Ich hatte fast alles gespeichert, und jetzt sind sie verschwunden.«
»Hat das einen tieferen Sinn?«
fragte Harald, und als Rufus nicht antwortete: »Möchtest du dich zu uns
setzen?«
»Nein.« Rufus blieb stur
stehen.
»Wir machen
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