Der Mann, der's wert ist
Entwürfe für den
neuen Schriftzug«, sagte ich. Rufus sollte nicht denken, wir würden hier nur
rumsitzen und uns nett unterhalten.
»Rufus, am besten wäre ein
schwarzer Schriftzug aus gezackten Horrorbuchstaben, wie an einer Geisterbahn«,
rief Harald. »Anders kann man mit >Hotel Harmonie< keinen mehr
überzeugen. >Harmonie< ist total out. Das ist so ein typischer
Nachkriegsname.«
»Ist mir bekannt«, sagte Rufus,
»heute würde man es >Hotel zur aggressionsfreien Zone< nennen. Ein
typischer Vorkriegsname vermutlich.«
Harald lachte: »Und dich,
Rufus, würde ich in Grün malen.« Ich lachte auch. Ja, Rufus wäre das ideale
Modell, um von Harald gemalt zu werden — mit einem Keil vor dem Gesicht. Und
heute trug er ein blaßkotzgrünes Kurzarmhemd zu seinen bräunlichen Jeans.
»Ausgerechnet Grün!« sonst gab
Rufus aber keine Meinungen zu Grün von sich, sondern verschwand zu seinem
zusammengebrochenen Daten.
»Hätte er mich jetzt
rausgeschmissen, wenn ich sein Angestellter wäre?« fragte Harald hinterher.
»Nein, niemals, er ist wirklich
sehr nett.«
»Ist er verheiratet? Hat er
eine Freundin? Ist er schwul? Hat er einen Freund?«
»Er hatte früher eine Freundin.
Zur Zeit nicht. Ich glaube, er hat kein Interesse an einer Beziehung.«
»Sehr interessant hier«, sagte
Harald, »nur Singles hier, die kein Interesse an Beziehungen haben. Ich liebe
diese latent erotische Atmosphäre, sie wirkt so kreativitätssteigernd.«
Ich kicherte.
Am nächsten Tag war der Himmel
voller Wolken und Harald strahlend gelaunt. Er stellte sich einen Stuhl in den Hof
und skizzierte den ganzen Nachmittag Wolken. Er skizzierte mit stark verdünnten
Farben zarte Wolkenübergänge oder fransige Konturen, weiße Wolken von der Sonne
beschienen, blaue Wolken im Schatten, graue Wolken unter der Sonne, und es war
ein neues Erlebnis, Wolken zu sehen, wenn man sie so genau betrachtete wie
Harald. Erst gegen Abend sagte er: »Der Rest ist bekannt«, und begab sich aufs
Gerüst. Weil ihm die Spotbeleuchtung in der Stuckkante zu schwach war,
installierten wir Klemmlampen an den Geländern der Gerüste.
Als Rufus gegen neun runterkam,
um zu kontrollieren, ob die Tür abgeschlossen ist, staunte er, daß Harald noch
oben auf dem Gerüst arbeitete und ich unten Farben anrührte. Er bekam wohl ein
schlechtes Gewissen, daß er uns der Faulheit verdächtigt hatte, und rief: »Ihr
arbeitet euch noch tot! Hört auf, einmal muß Schluß sein! Ich hol euch was zu
trinken. Sollen wir essen gehen?« Undsoweiter.
Aber Harald sagte: »Ich
grundiere, bis ich vom Gerüst falle. Und am Wochenende arbeite ich auch, wenn die
Handwerker weg sind. Ich brauche nur Ruhe, sonst gar nichts.«
»Dann will ich nicht weiter
stören«, sagte Rufus.
»Dich hab ich damit nicht
gemeint«, rief Harald vom Gerüst, aber Rufus war schon beleidigt abgezogen. Und
dann hörte ich Harald leise sagen: »Doch, er stört mich auch.«
Ich schwebte auf den Wolken,
die Harald für mich an die Decke malte.
Am Wochenende war es am
allerschönsten. Es regnete. Draußen Wolken, drinnen Wolken. Und ich durfte
Harald wieder helfen: Ich wurde immer besser beim Grundieren. Ich hatte einen
Radiorecorder auf meinem Liegegerüst, Harald sagte, normalerweise könne er bei
der Arbeit keine Musik ertragen, aber mittlerweile könne er die Wolken mit
geschlossenen Augen malen, und in dieser Phase sei Musik nicht schlecht.
Im Radio lief auf allen
Sendern, in allen Hitparaden ein unglaublich guter alter Hit, ein super Song —
er begann damit, daß ein Chor von Girls fragt:
»Does he love me?!
I want to know!
How can I tell, if
he loves me so?!
Is it in his eyes?«
Und eine Solosängerin antwortete:
»Oh nohoho!
If you want to know,
if he loves you so — it’s in his kiss!
That’s where it is.«
Und dieser Song wurde jede
Stunde mindestens einmal gespielt. Es war der Hit des Monats, und immer wenn er
kam, rief Harald: »Da kommt’s! Nimm’s auf!«
Am Sonntagvormittag hatten wir
eine ganze Kassettenseite voll: »If you want to know, if he loves you so — it’s
in his kiss!« Wir malten, jeder auf seinem Gerüst, wie besessen im Rhythmus
dieser Musik. Harald drummerte die Farbe wie ein Schlagzeuger gegen die Decke.
»Ich müßte zwei Pinsel haben«, schrie er zu mir rüber. Mein Pinsel schwang hin
und her wie ein Fingerschnipsen. Dieser Song hat einen Rhythmus, bei dem man
sich zwingen muß, nicht die Hüften auf und ab zu bewegen, wenn man auf einem
Gerüst liegt.
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