Der Mann, der's wert ist
Monaten abgelaufen.
Als Harald gegen Mittag kam,
sagte ich zu ihm: »Nächstes Jahr, wenn im Hof alles grünt und blüht, komme ich
wieder.« Und ich zitterte: Würde Harald jetzt sagen »Bleib gleich hier!« — was
würde ich antworten?
Aber Harald sagte: »Dann mußt
du oben im Rosenzimmer wohnen.«
In Zimmer 19. Das Zimmer für
eine Nacht der Leidenschaft, wie Harald es genannt hatte. Wäre das eine
Zukunft? Immer wieder herkommen, immer wieder mit Harald eine Nacht der
Leidenschaft im Rosenzimmer verbringen? Die ewige Romanze mit dem fernen
Geliebten? Ich sah Harald an, aber Harald sagte nichts mehr.
Er war deutlich schlecht
gelaunt. Er sei kaputt von unserem Wochenende auf dem Gerüst, erklärte er. Ich
brachte ihm Kaffee, aber er blieb geistesabwesend und total
geräuschempfindlich, es störte ihn schon das Rascheln einer Plastikplane. Als
er schließlich aufs Gerüst stieg, kam der Angeberhandwerker und fragte frech,
ob er an seiner Decke auch mal zu Potte kommen würde? — Harald kletterte wieder
runter, sagte zu dem Handwerker: »Wie bereits Michelangelo sagte, sag ich euch:
Kommt wieder, wenn ich fertig bin.« Und ging.
An der Tür murmelte er, ohne
sich umzudrehen: »Ruf mich an, wenn hier wieder Ruhe ist.«
»Morgen, bis morgen!« rief ich
ihm hinterher. Ich fand es auch besser, wenn wir morgen gemeinsam
Weiterarbeiten würden, wenn niemand mehr uns störte.
Außerdem lief Rufus dauernd
durchs Foyer, um das Kontor einzuräumen. Es ist nur noch halb so groß wie
vorher, der schöne Mahagonischrank, der stand, wo jetzt die Bar eingebaut ist,
verleiht nun Zimmer 20 das Luxusflair eines mit Antiquitäten ausgestatteten
Raums. Rufus genügen die zwei einfachen Aktenschränke, er will alle Unterlagen
ausmisten und im Computer speichern. Deshalb will er in den nächsten zwei
Wochen auf keinen Fall Zimmer vermieten, und deshalb soll Walkwoman ab morgen
Urlaub haben. Der Computer bleibt vorläufig oben in seiner Wohnung, damit er
Tag und Nacht sein Programm optimieren kann.
Gegen Feierabend fand zur Feier
des Endes der letzten Handwerker-Etappe ein kleiner Umtrunk statt, bei dem
Rufus alle zur Eröffnung am 3. November einlud. Ein Handwerker drückte mir zum
Abschied so brutal die Hand, daß ich dachte, meine Fingerknochen seien
gebrochen. Als alle das Hotel verlassen hatten, heulte ich fast vor Erschöpfung.
— Wie wunderbar, daß alle restlichen Arbeiten ohne Handwerkerpublikum gemacht
werden, daß ich ab morgen mit Harald allein Weiterarbeiten kann.
Und Harald kam wieder und war
bereit, mit letzter Kraft die letzten Wolken zu malen. Er wollte nicht mehr,
daß ich vorgrundiere, weil er nun extrazarte Wolken, ganz naß in naß malen
wollte. Es sei nicht gegen meine Leistung als Grundiererin gerichtet, sagte er
charmant, es sei ein Opfer, das wir dem Effekt zu bringen hätten.
Ich konnte trotzdem in Haralds
Nähe bleiben. Ich hatte fürs Schlüsselbrett der Rezeption neue
Zimmernummernschilder aus Messing gekauft, die alten aus Resopal waren so
häßlich, und der Schreiner hatte die neuen Nummern exakt auf das alte, jetzt
aber frischlasierte Schlüsselbrett geschraubt, allerdings war auf jedem der
neuen Nummernschilder noch eines dieser elend klebenden Preisschilder, und als
ich sie abgepopelt hatte, überall Klebereste. Würde man die nicht entfernen,
würden in einigen Wochen überall Staubfusseln pappen und die ganze Pracht
zunichte machen. Also tupfte ich die Klebereste mit Fett ein, so lassen sie
sich am besten abrubbeln. Es war ein echter Putzfrauenjob. Aber
Innenarchitektin sein bedeutet nicht nur, große Entwürfe zu machen, sondern
auch kleine Mängel zu beseitigen. Und Harald konnte auch nicht nur kreativ
Wolken malen, erst kam die unkreative Grundierung. In vollkommener Harmonie
arbeiteten wir wieder zusammen, er oben, ich unten.
Rufus war weggefahren, um
Besorgungen zu machen, als er wiederkam, brachte er einen Vertrag, von Herrn
Dr. Schnappensiep notariell bestätigt und von Rufus unterschrieben, in dem
stand, daß die geliehenen und zum noch einzutragenden Datum übergebenen Gemälde
des Herrn Harald Sommerhalter, deren genaue Beschreibung ebenfalls noch vom Künstler
anzufügen sei, weiterhin Eigentum des Herrn Harald Sommerhalter seien. »Es
steht auch drin, daß du deine Gemälde jederzeit wieder mitnehmen kannst«, sagte
Rufus und betonte »jederzeit«.
Harald sagte nur: »Du bist sehr
korrekt, Rufus, ich weiß das zu schätzen.« Dann wollte Harald nicht mehr
gestört
Weitere Kostenlose Bücher