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Der Mann, der's wert ist

Der Mann, der's wert ist

Titel: Der Mann, der's wert ist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Heller
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mußte sie nur an einer Seite wieder
abschrauben, die Stange rausschieben, durch die eingenähte Schlaufe im Teppich
schieben, die Halterung wieder festschrauben. Das ging ruckzuck. Ich rollte den
Läufer zur gegenüberliegenden Halterung am anderen Ende des Flurs: bis zur
Stange fehlten zehn Zentimeter. Das war durchaus kein Grund zur Panik, ich
wußte genau, daß die Maße stimmten. Sicher lag es daran, daß der Teppich
aufgerollt war, vielleicht zu eng gerollt, auf jeden Fall war er etwas geschnurrt.
Ich zog und zog. Es gelang mir, den Läufer drei Zentimeter zu dehnen. Mehr
nicht. Also schraubte ich erst mal die beiden kurzen Läufer an einer Seite an.
Dann probierte ich hin und her, ob es besser ist, wenn die lange Läuferbahn
durchgehend zu sehen ist, oder besser, wenn die Seitenläufer das lange Stück
überkreuzen. Die Überkreuzung sah besser aus, man sah deutlicher, wie üppig der
teure Teppich verlegt ist. Nur fehlten an allen Enden mehrere Zentimeter zu den
Halterungen. Ich zog und zerrte. Schließlich rief ich Rufus an. Er kam sofort
zu Hilfe.
    Wir saßen nebeneinander auf dem
Boden, zogen mit allen vereinten Kräften am Teppich, und Millimeter für
Millimeter erreichten wir unser Ziel.
    »Uff, alleine hätte ich das nie
geschafft«, sagte ich.
    »Ich auch nicht«, sagte Rufus.
    Das gleiche machten wir im
zweiten Stock. Ich ging mit dem Staubsauger vor Rufus her, der hinter mir die
Läufer ausrollte. Wir popelten Klebebandreste ab, schraubten Halterungen ab,
schraubten sie wieder an und zogen, zogen und zogen an den Teppichbahnen. Es
machte auch Spaß, mit Rufus zu arbeiten, nur war die Arbeit mit Rufus leider
kein musikerfüllter Traum — immerhin war das Resultat trotzdem toll.
    »Machen wir noch den ersten
Stock?« fragte Rufus.
    Es war kurz vor sechs, demnächst
konnte ich mich wieder bei Harald sehen lassen. »Ich kann nicht mehr«, sagte
ich, »außerdem soll ich noch Harald helfen.«
    »Falls du wieder meine Hilfe
brauchst«, sagte Rufus, und es klang leicht beleidigt, »ruf mich an.«
    »Klar, Rufus, danke, Rufus.«
     
    Weil von Harald nichts zu hören
war, ging ich erst mal in mein Zimmer, um mich umzuziehen. Meine Haare hatte
ich schon morgens gewaschen und lange gefönt, nun würde ich mich so schön wie
möglich machen — aber nicht aufgetakelt schön. Es war kein warmer Abend, also
konnte ich mein langärmeliges schwarzes T-Shirt tragen, zuerst wollte ich
einfach schwarze Jeans dazu anziehen, entschied mich dann aber für meinen engen
schwarzen Rock, weil ich dazu meine roten hohen Schuhe tragen konnte. Sollte
ich mein gebrochenes Herz tragen? Nein, es paßte nicht.
    Ich schlich die Treppe runter,
um Harald nicht durch das Gerumpel des Aufzugs zu erschrecken, wahrscheinlich
war er noch nicht ganz fertig. Ich würde ganz leise warten, bis er soweit war.
    Ich kam im Dunkeln die Treppe
herunter, im Foyer war jede verfügbare Lichtquelle eingeschaltet, von Harald
war kein Ton zu hören, und da sah ich ihn — er lag vor dem Gerüst auf dem
Boden, auf dem Rücken! Regungslos!
    »Um Gottes willen«, schrie ich,
rannte zu ihm, beugte mich über ihn, »ist dir was passiert?«
    Er deutete nach oben.
    Ich sah nach oben, es wurde mir
schwarz vor Augen, ich schloß die Augen, ich sank neben Harald auf den Boden.
»NEIN!« schrie ich.
    »Nein?« lachte Harald.
    Ich mußte die Augen wieder öffnen.
Da war es immer noch. »Nein!«
    Von der Wand des Kontors bis
fast zur Mitte der Halle zog sich ein gigantischer schwarzer Keil!
    Es war ein Keil, der aus der
Unendlichkeit zu kommen schien, der die Atmosphäre zersprengte, der alles
zerstörte. Es war, als schlüge in der nächsten Zehntelsekunde der größte Meteor
aller Zeiten ein, ja, in der nächsten Zehntelsekunde war das endgültige Ende
der Welt.
    Ich dachte, ich würde
wahnsinnig. »Warum hast du das gemacht?« fragte ich mit letzter Kraft.
    »Ich hatte keine andere Wahl«,
sagte Harald, als hätte ich gefragt, warum er geboren sei. Und er beugte sich
über mich und fragte belustigt wie ein Lehrer, der einem Kind eine Frage
stellt, auf die es nur eine simple Antwort gibt: »Was hättest du zum Beispiel
gemacht?«
    »Harald! Ich hätte diesen
Klumpenkeil weggelassen! Er macht alles kaputt.«
    »Das glaube ich dir nicht«,
sagte er.
    »Harald, das hier ist ein
Hotel! Du kannst nicht die Gäste mit dem Schrecken eines Weltuntergangs
empfangen! Das paßt in ein Beerdigungsinstitut. Oder in eine Geisterbahn. Bist
du verrückt?!«
    »Ich bin nicht

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