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Der Mann, der's wert ist

Der Mann, der's wert ist

Titel: Der Mann, der's wert ist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Heller
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verrückt«, sagte
Harald wütend. »Ich will das auch nicht als Schrecken eines Weltuntergangs
interpretieren. Es ist eine Negation. Ich kann nicht lediglich eine
michelangeloeske Wolkendekoration fabrizieren!«
    »Der Klumpen muß weg! Wenn du
ihn nicht wegmachst, werde ich ihn übermalen.«
    »Das wirst du nicht tun.«
    »Doch, ich schwöre es!« Ich
stand auf.
    Harald stand auch auf.
    »Ich sage dir noch mal: Wenn du
diesen Keil nicht wegmachst, mache ich ihn weg. Dieser grauenhafte Keil
zerstört alles, was wir, was Rufus und ich, geplant haben.«
    Harald lief einmal rund im
Foyer. »Ist das dein Ernst?«
    »JA.«
    »Gut, ich mach ihn wieder weg«,
sagte er. »Er erscheint etwas zu oberflächlich, zu leicht. Aber vorher muß das
Experiment fotografiert werden.«
    Es war mir ein Rätsel, was an
diesem Klumpen leicht und oberflächlich sein sollte. Ich war nur froh, daß
Harald so schnell einlenkte. Aber ich war ihm nicht dankbar, ich war nicht
glücklich darüber, das war kein Friede, mit dem alles wieder wurde, wie es
gewesen war. Harald war nur aus Lust und Laune, aus Freude an seinem Experiment
bereit gewesen, den Erfolg meiner Arbeit zu zerstören.
    Mechanisch sagte ich: »Ich hole
meinen Fotoapparat und fotografiere es sofort.«
    »Nein«, sagte Harald, »das muß
professionell gemacht werden.« Er ging zum Telefon.
    Die Nummer, die er wählte, war
sofort am Apparat.
    »Ich bin’s«, sagte er nur.
»Kannst du für mich fotografieren?« Kurze Pause.
    »Sofort morgen früh wäre
besser«, sagte er. Wieder Pause, gerade lang genug, um »ja« zu sagen. Harald
nannte die Adresse vom Hotel, sagte »ich danke dir« und legte auf.
    Er sah auf meine roten Schuhe,
als er sagte: »Waltraud kommt morgen früh um zehn zum Fotografieren. Ich komme mittags
und male dir wieder nette Donauwolken über den Weltuntergang. Einverstanden?«
    »Dann bis morgen.«
    Er ging.
    Ich rührte keinen Finger, um
ihn aufzuhalten.
     
    Ich rief Rufus an: »Es ist eine
Katastrophe passiert, aber sie wird behoben werden.«
    »Was ist passiert?«
    »Sieh nicht an die Decke, wenn
du ins Foyer kommst. Ich kann es dir nicht beschreiben. Aber es wird alles
wieder in Ordnung gebracht. Es wird alles wieder gut.«
    Natürlich kam Rufus sofort
runter. Er verbarg sein Entsetzen, so gut er konnte.
    Ich hatte Schuldgefühle ihm
gegenüber: »Wenn diese Waltraud morgen nicht bis zwölf erschienen ist, fange
ich an, den Klumpen selbst zu übermalen. Ich versprech es dir.«
    »Eigentlich finde ich den
Klumpen gar nicht so schlecht«, sagte Rufus, »er sieht aus wie der Meteor, der
angeblich am Ende der Kreidezeit ins Meer stürzte. Vielleicht ist tatsächlich
mit einem Schlag alles ausgestorben.«
     
     
     

95. Kapitel
     
    Sie kam zehn vor zehn.
    Ehe ich Waldtraud sah, hatte ich
mir nie überlegt, wie eine vollkommene Frau aussieht, als ich Waltraud sah,
wußte ich es. Sie war groß, blond, die Haare hochgesteckt, einzelne, lockige
Strähnen umspielten ihr vollkommenes Gesicht. Und ihre Lippen — es hört sich
banal an —, ihre Lippen waren zum Küssen. Sie trug ein pfirsichfarbenes Kostüm,
es sah an ihr so wenig kitschig aus, wie ein Pfirsich kitschig ist, es war
einfach das Richtige zu ihrer Pfirsichhaut. Betroffen betrachtete ich das
Kostüm: Es gab wenig Hoffnung, daß es weniger als viertausend Mark gekostet
hatte. Am Revers ein schwarzer, ungeschliffener Edelstein, wie ein Keil
gebrochen, die Ränder des Keils mit quadratischen Brillanten besetzt. Ich hatte
noch nie ein Schmuckstück gesehen, bei dem so große Brillanten so dezent eingesetzt
waren.
    »Guten Morgen«, sagte Waltraud.
»Ich hoffe, ich komme nicht zu früh, ich wollte Sie nicht warten lassen.« Ihre
Stimme war wie Schlagsahne.
    »Guten Morgen«, sagte ich.
Meine Stimme war wie verhagelt. Rufus lächelte töricht, als sie ihm die Hand
gab.
    »Harald hat mir viel von Ihnen
erzählt«, sagte sie, »wirklich eine bezaubernde Atmosphäre hier.«
    Ich räusperte mich und sah zur
Decke.
    Sie sah auch zur Decke. »Oh,
ja«, sagte sie, »der Keil sollte weg. Er ist zu zweidimensional in den
Randbereichen, da hat er keine echte Masse.«
    »Mir ist er massig genug«,
sagte ich.
    »Es ist nur ein Experiment, es
hat künstlerisch kein Gewicht. Und Sie haben völlig recht, das paßt nicht in
ein Hotel.«
    »Vielen Dank«, sagte ich echt
dankbar.
    »Ich habe Scheinwerfer mitgebracht,
ich hole sie rasch aus dem Auto.« Sie ging hinaus, ihre schwarzen
Wildlederstöckelschuhe hatten um die

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