Der Mann, der's wert ist
wunderbares Abschiedsgeschenk. Ich drückte das wunderbare
Ballkleid an mich, drückte Rufus an mich: »Ich danke dir!« Ich streichelte
seine Wange, seinen Hals, und einen Moment dachte ich, Rufus hätte mich auf die
Innenfläche meiner Hand geküßt.
Von ferne donnerte es.
»Ich will hier noch das
Gewitter erleben«, sagte Harald. »Man sitzt hier so gemütlich, nachdem das
Plastik von den Polstern ist, und ich scheine ja niemanden zu stören.«
»Ich werde jetzt das Kleid
anprobieren«, sagte ich.
»Das Kleid will ich nicht
sehen«, sagte Harald, »ich weiß, daß es dir paßt, ich weiß, daß es hierher
paßt, ich sehe es lieber bei der passenden Gelegenheit. Jetzt wünsche ich Blitze
zu sehen und Donner zu hören.« Er goß sich Sekt nach.
»Aber ich möchte gern das Kleid
an dir sehen«, sagte Rufus, »und dann möchte ich gern mit dir sprechen.«
»Über was?«
»Vermutlich über etwas
vollkommen Belangloses«, sagte Harald und zündete sich die nächste Zigarette
an.
Rufus stöhnte: »Harald, bitte,
wir haben doch Zeit, oder?« Ich fuhr mit dem Aufzug hinauf, um keine Zeit zu
verlieren. Aber als ich mein Zimmer betrat, dachte ich, daß man ein großes
rotes Ballkleid unmöglich in einem kleinen grünen Arbeitszimmer anprobieren
sollte, nahm meinen Generalschlüssel, ging über den Flur in Zimmer 19. Das
Zimmer mit den rosenroten Wänden, mit den roten Rosen auf dem schwarzen
Teppich. Wozu hatten wir zu jedem Kleid das passende Zimmer?!
Ich erkannte mich kaum, als ich
mich in den Spiegel-Schranktüren sah, ich sah aus wie ein Rosenstrauß. Das
Kleid paßte wie für mich gemacht, durch den getarnten Gummizug am Rücken
rutschte der eingearbeitete BH nicht, und es paßte auch zentimetergenau an den
Hüften, wo der weite Rock begann. Und überall plusterten sich Rosen. Ich rannte
in mein Zimmer, holte meine roten hohen Schuhe, zurück ins Rosenzimmer, zog sie
an, perfekt, nun endete der Rocksaum eine Schuhspitzenhöhe über dem Boden,
perfekt, so würde ich den Rock nicht als Kehrmaschine über den Boden schleifen.
Ich war von meinem Spiegelbild
begeistert. Dieses Rot zu meinen dunklen Haaren, dieses wunderbare Kleid zu
einem, ja, schönen Mann wie Rufus... mit ihm würde ich Walzer tanzen bei der
Eröffnung, und mit Harald natürlich auch... und da kam sie wieder über mich,
die Traurigkeit des Abschieds. Und dann dachte ich wieder, daß ich nicht mehr
an morgen denken will, schon gar nicht an die Zeit in sechs Wochen, wenn ich
wieder sein werde, wo ich hergekommen bin, wenn ich wieder von vorn anfange.
Ich wollte die Traurigkeit aus meinem Kopf vertreiben. Ich sah mich im Spiegel
und dachte: Man muß für solche Augenblicke leben, man darf nicht an die Zukunft
denken. Rufus hatte mir dieses Kleid geschenkt, Harald hatte es ausgesucht...
es sollte der schönste Abschied meines Lebens werden.
Ich hörte das Telefon in meinem
Zimmer, in der 22, klingeln. Ich ging hinüber.
Es war Rufus: »Kann ich zu dir
raufkommen? Harald nervt mich.«
»Klar, komm rauf, ich bin in
der 19.«
Im Hintergrund hörte ich Harald
brüllen: »Einen Moment!«
Dann tönte Musik durchs Telefon
und durchs Treppenhaus:
»If it’s love
if it really is
it’s there in his
kiss...«
Rufus sagte: »Wie du hörst,
kann man hier nicht reden, ich komm rauf.«
Ich erwartete Rufus auf dem Balkon.
»Wie schön du bist, Viola«,
sagte er.
»Und du erst, Rufus«, sagte ich
und lachte. »Warum hast du dich heute von deinem Bart getrennt?«
»Harald hat gesagt, er gibt mir
den guten Rat, aber es war eigentlich ein Befehl. Er hat gesagt, es sei höchste
Zeit. Er hat gesagt, ich wirke auf dich zu leidenschaftslos.«
Rufus stand mir gegenüber, an
die andere Seite des Balkons gelehnt. Er sah überhaupt nicht leidenschaftslos
aus, nun da sein Gesicht sozusagen der Öffentlichkeit zugänglich war. Er sah
aus, als sei er der Leidenschaft durchaus fähig, und er sah auch etwas leidend
aus. Und Rufus sagte: »Es bricht mir das Herz, wenn ich daran denke, daß du
weggehst.«
»Denk nicht dran.« Und ich log:
»Ich denke auch nicht dran.«
»Ich kann aber an nichts
anderes denken.« Und er senkte den Kopf, kam auf meine Seite des Balkons und
umarmte mich. Und er zerdrückte die Rosen auf meinem Kleid, aber ich dachte:
vergiß die Rosen. Man muß sie nur über Wasserdampf halten, dann werden sie
wieder knitterfrei. Ich wollte nur an Rufus und an jetzt denken.
Vom Foyer schwallte Musik
herauf:
»...squeeze him
and hold him tight
and
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